Gerade noch ein Patt
weg.
»Bist du sicher, Kit?« fragte Marksman.
»Er trägt das Konzern-Brandzeichen, aber er hat kein Konzern-Herz.« Sie zuckte die Achseln. »Das Leben ist nie völlig sicher. Gehört das nicht zum Reiz des Lebens?«
»Also gut, Junge. Wir geben dir eine Chance«, sagte Marksman. Shamgar knurrte, aber Marksman ignorierte ihn. »Wenn du uns hintergehst, wird Shamgar dich kriegen. Solltest du uns die Konzernsicherheit auf den Hals hetzen, kann sie gar nicht so schnell sein, um Shamgar davon abzuhalten, Hackfleisch aus dir zu machen. Du kommst mir nicht so vor, als wärst du bereit, dein Leben für Telestrian Cyberdyne zu opfern. Du hast noch zuviel vor dir. Oder nicht, Junge?«
Andy nickte, weil es einfacher war zuzustimmen. Er war es langsam leid, daß Marksman ihn immer »Junge« nannte, aber jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, sich deswegen zu beschweren.
»Wenn du glaubst, daß du Yates helfen kannst, dann tu es«, sagte Marksman. »Aber vergiß nicht, daß wir zusehen. Wenn irgendwas schiefgeht, weiß Rags sofort Bescheid. Verstanden?«
Andy wußte nicht genau, ob er das glauben sollte, sagte aber dennoch: »Verstanden.«
Während Rags eine Verbindimg zu seinem schwarzen Kasten herstellte, setzte sich Andy auf den Ruhesessel vor einem der Terminals. Er nahm die Abdeckimg von Tastatur und Eingabesuite. Licht glitzerte kalt und fahl auf dem Stecker des Datenkabels, als er die Verbindung aus dem Gehäuse zog.
Das war jetzt echter Shadowrunner-Kram, keine virtuelle Imitation. Er würde gegen schwarzes Ice decken. Hatte er nicht schon immer davon geträumt, das Leben eines Shadowrunners zu führen?
Nun, nein, nicht immer. Er wußte noch, wann ihn die Vorstellung zum erstenmal fasziniert hatte. Er hatte all seinen Mut zusammengenommen und war ins Sha-downet gedeckt. Dort hatte er von »berühmten« Run-nern wie Sam Verner aus Seattle gehört, der angeblich der erste seit Howling Coyote war, welcher die Kräfte des Großen Geistertanzes geweckt und beherrscht hatte. Die Freiheit und die Macht, die diese Runner genossen, waren ihm verführerisch vorgekommen.
Als Andy erfuhr, daß Verner ebenfalls als Konzern-Lakai begonnen hatte, war er dadurch nur noch mehr inspiriert worden. Wenn Verner sich aus der Konzernwelt befreit hatte und ein Shadowrunner geworden war, dann, davon war er überzeugt, konnte er das auch. Etwa einen Monat danach hatte er Lederklamotten getragen, mit Fransen daran wie in den Mode-Bilddateien der Westküste, und sich eingehend in den Schamanenkram vertieft. Trance-Trommel-Chips, Fetische, Meditations-Chips, Traumfänger, Chips über indianische Legenden. Er hatte sich sogar eine Narcoject-Pistole gekauft, so eine, wie Verner sie angeblich trug. Es war keine echte Narcoject - er konnte sich die Trageerlaubnis nicht leisten, aber wegen seiner Konzernzugehörigkeit durfte er eine nicht funktionierende Kopie tragen -, doch der Kolben mit dem Logo darauf, der aus einem echten Nagalederhalfter ragte, verlieh ihm einen echt coolen Touch.
Wenn er mit seinen Sachen nicht in der Landover- Promenade oder dem Telestrian Plaza Dome herumstolzierte, verbrachte er Stunden alleine in seinem Zimmer, ließ die Chips durchlaufen und öffnete sich dem Universum, um auf Geistervisionen zu warten. Er hatte nie welche. Das einzige, was er bekommen hatte, war ein Haufen dummer Bemerkungen von seinen älteren Schwestern. Schließlich war ihm die Sache so peinlich geworden, daß er die Suche nach den Visionen aufgegeben und sich wieder seinem Studium gewidmet hatte, aber kaum einen Monat später hatte er mit seinen virtuellen Shadowruns begonnen.
Und jetzt saß er vor dem Cyber-Terminal, das er sich ausgesucht hatte, und spielte kein Spiel mehr.
Es war ein Moment der Magie, wenngleich nicht von der Art, wie sie ein Schamane wie Verner wirkte. Andys Magie war die metaphorische Magie des Tech-nomancers. Seine Testergebnisse bewiesen das. Wenn er ein Totem hatte, mußte es der Geist In Der Maschine sein. Die Magie des Riggers, wo ein Mensch eins mit seiner Maschine wurde, war Andys Pfad zur Erleuchtung. Das Wunder des Deckens, wo alles, was man dachte, real wurde. Jedenfalls in virtueller Hinsicht real.
Fast so real wie der Ork, dessen Atem er im Nacken spürte. Andy stöpselte das Datenkabel in seine Buchse und legte die Hände auf die Eingabeoberfläche. Der Augenblick der Wahrheit. Er drückte die Engage-Taste, durchlief rasch das Identifikationsprotokoll, griff auf seine eigenen Matrix-Management-Dateien
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