Gerade noch ein Patt
Tee kalt war, brachte Genifer wieder die Beerdigung zur Sprache und bestand darauf, daß Tom mit ihr kam, um noch einen letzten Blick auf den Toten zu werfen. Er hielt dagegen, daß seine Anwesenheit unter Berücksichtigimg ihrer Beziehung bei der Beerdigung völlig ausreichte, doch Genifer wollte nichts davon hören.
»Andy war unser Bruder«, beharrte sie.
Er sah seine Großeltern um Unterstützung heischend an, aber sie blieben vernünftigerweise neutral. »Das liegt ganz bei dir, Tom«, sagte sein Großvater, was bedeutete, daß er nicht gewillt war, sich wegen dieser Angelegenheit mit Genifer zu streiten. Letzten Endes kam Tom zu dem Schluß, daß er es auch nicht war, aber als sie ihm nahelegte, einen Anzug anstatt seiner Uniform zu tragen, war die Grenze erreicht. Schließlich war er, was er war.
Genifer, die sich vor dem Chaos in der Innenstadt fürchtete, bestand darauf, den Wagen zu nehmen und nicht die Metro. Die Metro hätte sie direkt zur Tele-strian-Enklave befördert, und die Passierscheine, die Shayla besorgt hatte, hätten sie von der Station ebenso mühelos hineingebracht wie von einem öffentlichen Parkhaus. Doch Genifer wollte nicht auf seinen Einwand hören, daß der alte Gallant eine prächtige Zielscheibe für alle abgeben würde, die nach »Reichen« Ausschau hielten. Überzeugt davon, daß sich der Ärger, wenn überhaupt, dann über die öffentlichen Verkehrsmittel ausbreiten würde, hielt sie es für ungefährlicher, mit dem Wagen anstatt mit der Bahn zu fahren. Wiederum gab Tom nach. Es war kein so großes Zugeständnis, da er ohnehin nicht mit Ärger rechnete. Er fuhr nur nicht mehr so gerne mit dem Wagen in der Stadt.
Unterwegs fiel ihm auf, daß er überhaupt nichts über die Umstände von Andys Tod wußte. Er dachte sich, daß er über die Grundzüge Bescheid wissen sollte, und sei es auch nur, um sich später Peinlichkeiten zu ersparen.
»In deinem Brief stand nicht, was Andy zugestoßen ist.«
»Es war ein Unfall. Offenbar hat er bis zum frühen Morgen in einer Art experimentellem Simulator gearbeitet. Die Techs waren alle nach Hause gegangen, und dann muß irgendwas schiefgegangen sein. Da Andy in der Matrix war und an einer virtuellen Simulation arbeitete, wußte er nicht, was in der wirklichen Welt geschah, und der Fehler hatte die Warnschaltkreise lahmgelegt. Es gab eine Explosion und ein Feuer. Er hatte keine Chance. Lola sagt, wenn sie nicht aus den Computeraufzeichnungen gewußt hätten, daß Andy in dem Simulator war, wären sie gar nicht in der Lage gewesen, ihn zu identifizieren. Die Leiche war zu Asche verbrannt.«
»Dann wird der Sarg wohl geschlossen sein, nehme ich an. Ein Haufen Asche ist kein schöner Anblick. Na ja, ich hätte ihn sowieso nicht erkannt.«
»Sei nicht so unsensibel.«
Er hielt sich nur für praktisch.
Tom wußte tatsächlich nicht mehr, wie Andy aussah. Es war ein paar Jahre her, seit er ihn zuletzt gesehen hatte, und da war Andy noch ein Kind gewesen. Er mußte sich ziemlich verändert haben, vielleicht sogar Verwandelt - aber Tom war ziemlich sicher, daß Jennifer ihm gesagt hätte, wenn das der Fall gewesen wäre. »Was ich meinte, war, daß Andy - wie alt? - zehn oder elf war, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Er war noch nicht mal in der Pubertät.«
Natürlich hatte Genifer ein Foto neueren Datums. Als ihr betrunkener Vater wieder in ihr Leben gepoltert war, hatte sich Genifer gefreut, ihn zu sehen und die Bekanntschaft ihrer Halbgeschwister zu machen. Auch nachdem ihr Vater getötet worden war, hatte sie die Verbindimg aufrechterhalten, die Tom lieber gelöst hätte. Da das Spatzenhirn des Wagens das Fahren auf der Autobahn übernahm, konnte es Tom nicht vermeiden, sich das Foto anzusehen, daß sie aus ihrer Handtasche holte. Er gab ein paar, wie er hoffte, anerkennende, halbbrüderliche Laute von sich. Sie reichten, um Genifer zufriedenzustellen. Unglücklicherweise hielt sie sein vorgetäuschtes Interesse für echt und verbrachte den Rest der Fahrt damit, ihm die Einzelheiten der langweiligen Konzern- und Schullaufbahn des Jungen nahezubringen. Sie war immer noch dabei, als sie den Wagen verließen und zum Eingang der Familienenklave Telestrian Ost gingen, wo der Leichnam - oder vielmehr das, was von ihm übrig war - im Öffentlichkeitszentrum aufgebahrt war.
Die Konzernsicherheit am Eingang nahm ihren Job ziemlich genau. Genifer mußte sich auf ihre Familienbande berufen, um an den Wachposten vorbeizukommen. Die Wachen trugen
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