Gérards Heirat
von einerwahrhaft südlichen Kraft und Ueppigkeit annimmt. In den Wäldern röten sich die Elsbeerbäume, die Buchen werden rotbraun und die Eichen lohfarben. Von weitem gleicht der Wald einem wogenden Meere mit dunklen, rötlichvioletten Wellen; aber besonders auf der Seite der Weinberge entfaltet sich vor den trunkenen Blicken eine glänzende, kunstvoll ineinander verschmolzene Farbenpracht. Ueber die weichen Wellenlinien der Hügel von Barrais breitet der Herbst seinen Mantel, der an die wunderbare Schöne der reichsten Gewebe des Orientes erinnert. Hier prangen die Reben in der ganzen Farbenskala von rot und gelb: leuchtendes Purpurrot, blasses Grün, rötlich schimmerndes Gold, die frische, rosige Farbe der Morgenröte fließen harmonisch und melodisch ineinander und machen den Eindruck einer magischen Symphonie. In der Tiefe vermittelt das silberne Laub der Weiden, in der Höhe der weißliche Duft des Horizontes sanft den Uebergang der lebhaften, warmen Farbentöne der Wälder und Weinberge zu dem satten Grün der Wiesen und dem tiefen Blau des Himmels. Der fast immer schöne Spätherbst erhöht den heiteren Charakter der Landschaft noch mehr; ganz Juvigny lebt herrlich und in Freuden. Der Weinstock ist der Hauptreichtum des Landes, und wenn der Herbst ein guter ist, so leert jeder Weinbergbesitzer einige alte, in der Tiefe des Kellers verborgene Flaschen zu Ehren der neuen Lese. Sobald der Morgen graut, ziehen Winzer und Winzerinnen truppweise singend durch die Straßen; den ganzen Tag sind die Wege von den mit Trauben beladenen Karren belebt, die Keltern öffnen ihre großen Thorwege und lassen trotz der in ihnen herrschenden Dunkelheit die riesigen, weitbauchigen Bütten und die rundlichen Wölbungen der an den Wänden aufgestapelten Fässer erkennen. Gegen Mittag machen sich auch die Frauen und jungen Mädchen nach den Weinbergen auf und mischen sich unter die Arbeiter; man bringt das Vesperbrot mit und verzehrt es, behaglich am Rand einer Wiese gelagert, im Freien; nachher geht man, wie die gutenUnterthanen Grandgousiers, Vater Gargantuas (Rabelais). unter das Weidengebüsch und tanzt dort auf dem dichten Gras, »so fröhlich, daß es ein himmlischer Zeitvertreib war, zu sehen, wie sie sich ergötzten ...« Von allen Seiten riefen Gesang und Gelächter das Echo wach. Erst in der Dämmerung kehrte man mit dem letzten traubenbeladenen Karren in die Stadt zurück, wo das Tagewerk mit einem ebenso fröhlichen, wie reichlichen Mahl, bei dem auch der zwiebelfarbige Landwein nicht gespart wird und lautes Lachen ertönt, beschlossen wird. Es ist eine Zeit der Freiheit und lärmenden Fröhlichkeit, in der sich alle Rangesunterschiede verwischen und alle Zimperlichkeit beiseite geschoben wird. Der süße Weinduft, der den Keltern entströmt und die ganze Luft mit seinem Aroma erfüllt, regt noch mehr zu diesem Sichgehenlassen an.
Marius Laheyrard hütete sich wohl, bei diesen ländlichen Freudenfesten zu fehlen, um so mehr, als er hoffte, Fräulein Grandfief bei dieser Gelegenheit zu begegnen. Der Liebesgott schien ihm hold zu sein und eines schönen Nachmittags traf er in dem Weinberg eines seiner Freunde Georginen mit den Schwestern desselben, die den Taglöhnerinnen beim Traubenlesen halfen. Um das Glück voll zu machen, war sie auch noch allein gekommen; Frau Grandfief, durch Kopfschmerzen ans Haus gefesselt, hatte sich dazu verstanden, ihre Tochter einer Freundin anzuvertrauen. Das war für den Dichter ein unverhofft glückliches Ereignis, und es läßt sich denken, daß er es sich zu nutze machte. Man las Seite an Seite, man naschte von derselben Traube, man vesperte von dem gleichen Teller und benutzte bei den Rundtanzen die Gelegenheit, sich die Hand zu drücken. Als man des Abends in die Stadt zurückging, hielt der Besitzer des Weinberges Marius zum Abendessen zurück und ließ zu Ehren der Damen beim Nachtisch einige Flaschen Champagner bringen. Georgine, die den schäumenden Wein durchaus nicht verachtete, ließ sichüberreden und trank ein ganzes Kelchglas auf einmal aus. Der Dichter machte auch keine Umstände, und als man vom Tisch aufstand, waren die Köpfe warm, die Zungen gelöst, und die Augen glänzten.
Georgine wurde von ihrer Kammerjungfer abgeholt und mußte gehen. Sie ging in ein anderes Zimmer, um ihren Mantel zu holen und sich fertig zumachen; in dem allgemeinen Durcheinander schlich der ausgelassene Marius, ohne viel zu überlegen, was er that, aus dem Eßzimmer und begann das junge
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