Gérards Heirat
achtungsvoll, ich schwöre es Ihnen, und er selbst wird es bestätigen ... Warum hat er es Ihnen denn nicht schon gesagt?«
»Warum?« murmelte der Chevalier verlegen, »Nun ja doch, weil ich ihn nicht habe sprechen lassen, sondern gleich in Harnisch geraten und abgereist bin!... Aber,« fuhr er feierlich fort, »seine Versicherung ist unnötig, ich glaube Ihnen, Fräulein, und lege Ihnen meine demütigsten Entschuldigungen zu Füßen.«
Helene trocknete ihre feuchten Augen und bemerkte nun plötzlich, daß der Chevalier, ein Knie auf der Erde, vor ihr lag, sie streckte ihm die Hand hin, um ihn zum Aufstehen zu nötigen.
»Sie haben nicht nötig, sich zu entschuldigen, Herr von Seigneulles, ich muß Sie um Vergebung bitten, daß ich so unbedacht Ihre Ruhe gestört und die Erfüllung Ihrer Wünsche verhindert habe.«
Der Chevalier machte eine großartige abwehrende Gebärde.
»Man muß nachsichtig gegen mich sein,« fuhr sie fort und richtete ihre großen Augen auf ihn, »ich bin so schlecht erzogen worden! Als ich nach Juvigny kam, bildete ich mir ein, es sei mir alles erlaubt – meine Mutter beschäftigte sich so wenig mit mir –, und mein Vater,« setzte sie mit mattem Lächeln hinzu, »war nicht streng wie viele andere ... Er hat mich furchtbar verwöhnt!«
»Und Sie liebten ihn auch dafür!« seufzte Herr von Seigneulles.
»O ja, und es ist mein täglicher Kummer, daß ich ihn nicht mehr wie sonst umarmen kann.«
»Geduld! Nach Ihrer Rückkehr werden Sie sich für die Entbehrung schadlos halten.« Helene schüttelte traurig den Kopf.
»Ich werde nie mehr nach Juvigny zurückgehen,« sagte sie mit fester Stimme.
»Das wollen mir sehen!« rief der Chevalier. »Ich werde Sie schon dazu zwingen.«
»Sie, Herr von Seigneulles?« – Sie sah ihn höchlich verwundert an.
»Ich, gewiß ... Bilden Sie sich denn ein, ich habe mich acht Stunden lang auf dieser niederträchtigen Eisenbahn herumschütteln lassen, bloß um Sie zum Weinen zu bringen? Begreifen Sie denn nicht, warum ich hier bin?«
Helenens Gesicht begann sich aufzuhellen, und die Verwunderung wich einer Empfindung, die nichts Schmerzliches mehr an sich hatte. »Aber, ich glaube ...« stotterte sie, »ich weiß nicht ...«
»Lieben Sie meinen Sohn nicht mehr?«
Sie errötete und ihre Lippen bewegten sich, ohne einWort hervorzubringen. – »Antworten Sie mir nicht!« rief der ungestüme Chevalier, »warten Sie, bis ich wiederkomme!«
Er stürzte aus dem Zimmer, sprang vier Stufen auf einmal die Treppe hinab und suchte Gérard auf, der allen Qualen der Erwartung zur Beute, auf der Straße fast verzweifelte, »Folge mir!« befahl Herr von Seigneulles.
Der junge Mann und sein Vater stiegen langsam die Treppe hinauf, zur großen Verwunderung der Schülerinnen von Frau Le Mancel. Als sie in dem kleinen Zimmer angelangt waren, wo Helene sich zitternd fragte, ob sie nicht geträumt habe, verbeugte sich der Chevalier ehrfurchtsvoll vor ihr und sagte: »Fräulein Laheyrard, ich habe die Ehre, Sie für meinen Sohn, Gérard von Seigneulles, um Ihre Hand zu bitten,« Dann wandte er sich an Gérard und sagte: »Vorwärts, mein Sohn, küsse deiner Braut die Hand!«
Ein doppelter Freudenschrei ertönte in dem kleinen Zimmerchen. Gérard hatte sich auf Helenens Hand gestürzt und bedeckte sie mit Küssen. Die Sonne sogar freute sich mit ihnen; sie hatte die Oktobernebel zerteilt und sandte einen ihrer lichtesten Strahlen durch die Gardine und ließ ihn um die blonden Locken des jungen Mädchens, über den voll entfalteten Kelch der Rose und über Gérards, vor der Geliebten gebeugtes Haupt spielen. In einer Ecke stand der strenge Chevalier und betrachtete diese Liebesscene und lauschte dem zärtlichen Geflüster, bis er plötzlich eine ganz eigentümliche Heiserkeit fühlte ... Er sah den Augenblick kommen, wo ihm die Thränen in die Augen treten würden, und schämte sich dieser übermächtigen Bewegung und versuchte dieselbe mit einem Fluch zu unterdrücken. »Donnerwetter!« brummte er.
Bei diesem Ausruf erhob Helene den Kopf, entzog ihre Hände den Liebkosungen Gérards und wies mit einem raschen Blick auf seinen Vater. Der junge Mann verstand sie, stürzte auf den alten Edelmann zu und umschlang ihn mit seinen Armen. Zum erstenmal vereinte eine wirklich warme und zärtliche Umarmung Herrn von Seigneulles und seinen Sohn...
In Juvigny war die Aufregung groß, als die Neugierigen, die vor dem Gasthaus zur Rose auf und ab schlenderten, um den von der
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