Geraubte Erinnerung

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Autoren: Greg Iles

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kann keine Fähre sehen«, sagte Rachel.
    Auf dem Dach des Nova war ein verbeultes Aluminiumkanu festgeschnallt, doch ich sah keine Personen im Wagen. Ich zog mein Hemd aus der Hose, um den Kolben der Pistole im Hosenbund zu verbergen; dann stieg ich aus und ging in Richtung Fluss davon.
    Das Geräusch einer akustischen Gitarre wehte heran; die Melodie erinnerte mich an Deliverance. Als ich den Nova umrundete, sah ich nicht zwei inzüchtige Hillbillies, was ich eigentlich erwartet hatte, sondern zwei Jungen im College-Alter, die auf dem Boden saßen. Einer besaß blonde Haare und trug eine Bandana als Stirnband. Der andere war dunkelhaarig und spielte auf einer heruntergekommenen Martin. Ich winkte ihnen freundlich und ging weiter zum Ufer.
    Eine kleine Fähre, ausreichend für drei oder vier Fahrzeuge, hatte vom anderen Ufer abgelegt und war auf dem Weg zu unserer Seite. Aus dem Schornstein stieg eine dunkle Dieselwolke. Am anderen Ufer, neben der Anlegestelle, stand ein Haustrailer, wahrscheinlich die Wohnung des Fährmanns. Die Straße jenseits der Anlegestelle verschwand in den Wäldern.
    »Wir haben die Fähre bereits gerufen«, sagte einer der Jungen hinter mir.
    Ich drehte mich um und lächelte sie an. Der Junge mit der Bandana trug ein T-Shirt der University of North Carolina und besaß intelligente grüne Augen. Der Gitarrenspieler sah bekifft aus und hatte Sonnenbrand auf den Schultern. Der unverwechselbare Geruch von Marihuana stieg mir in die Nase.
    »Seid ihr über die Flüsse in der Gegend gepaddelt?«, fragte ich.
    Der Blonde lachte. »Wir haben uns Zeit gelassen. Wir sind heute Morgen den Chowan runtergetrieben. Morgen müssen wir wieder heim. Tarboro. Wollten uns den Cashie noch mal kurz ansehen, bevor wir fahren.«
    Ich legte die Hand an die Augen und spähte zum Himmel. Das Überwachungsflugzeug kam brummend aus einer Kumuluswolke und überquerte den Fluss.
    »Hört sich gut an«, sagte ich zu dem Gitarrenspieler, der noch immer leise vor sich hin spielte. Dann kehrte ich zum Audi zurück und stieg wieder ein.
    »Die Fähre ist auf dem Weg.«
    »Ist das Flugzeug noch über uns?«, fragte Rachel.
    »Ja.«
    Sie sah aus, als wäre sie mit den Nerven am Ende. Während ich düster auf das Heck des alten Nova starrte, kam mir plötzlich eine Idee.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    Ich stieg aus und ging erneut um den Nova herum; dann hockte ich mich vor die beiden Jungen. »Ich habe einen Vorschlag für euch.«
    »Was für einen Vorschlag?«, fragte der Blonde.
    »Meine Frau ist noch nie mit einem Kanu unterwegs gewesen. Sie hat euer Boot gesehen, und dabei kam ihr eine Idee. Sie würde gern mit dem Kanu den Fluss hinunter bis zum Sound fahren.«
    Der Gitarrenspieler hörte auf zu spielen. »Wir sind auf dem Heimweg, Mann.«
    »Ja, stimmt. Tarboro, nicht wahr? Aber ich dachte mir … na ja, was ist das Kanu eurer Meinung nach wert? Sieht aus wie ein altes Grumman, wenn ihr mich fragt.«
    »Das ist ein altes Grumman«, sagte der Blonde. »Hat früher meinem Onkel gehört. Ich schätze, es ist gut und gerne seine vierhundert Mäuse wert.«
    Wir drehten uns um, als die Fähre sich auf unserer Seite des Flusses aufs Ufer schob.
    Ich streckte die Hand nach dem Spanngurt aus, der den Bug des Bootes auf dem Dach des Nova an der Stoßstange hielt, und zupfte daran. »Zweihundert käme wohl etwas näher«, sagte ich lachend. »Aber ich möchte meine Frau glücklich machen. Was haltet ihr von fünfhundert?«
    Der Blonde schluckte. Er rechnete sich wahrscheinlich aus, wie viel Gras er für fünfhundert Dollar in bar kaufen konnte.
    »Die Sache ist nur die, ich will meinen Wagen nicht hier stehen lassen. Ich möchte, dass ihr ihn ein Stück die Straße hinunterfahrt.«
    »Wohin?«, fragte der Blonde.
    »Was haltet ihr von Tarboro?«
    Er sah mich verwirrt an. »Aber wie kommen Sie nach Tarboro, um Ihren Wagen dort abzuholen?«
    »Alles einsteigen!«, rief der Fährmann, ein weißbärtiger hagerer Bursche in verwaschenem Overall.
    Ich zückte meine Brieftasche und zählte zehn Hundertdollarnoten ab. »Was interessiert es euch, wenn ich euch tausend Dollar dafür gebe?«
    »Scheiße«, sagte der Gitarrenspieler und erhob sich. Er blickte an dem alten Nova vorbei zu dem silbernen Audi. »Ist das Ihr Wagen, Mann?«
    »Das ist er.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ich biete euch tausend Dollar für das alte Kanu und eine kurze Fahrt. Seid ihr bereit oder nicht?«
    Die beiden Jungen sahen zu dem Audi, dann blickten sie sich an.