Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Kirchen ist nicht viel zu sagen.
Ein Wort genügt. Und das lautet: Ragen.
B:
Vor diesen zwei Kirchen empfiehlt's sich zu schweigen.
Kein Wort tut's auch. Und das lautet: Steigen.
Tübinger Feststellung
Die Enten auf dem Neckar sind
bemerkenswerte Tiere.
Der Fluß zieht seinen Weg geschwind,
sie bleiben auf der Stelle.
Vom Ufer schau ich ihnen zu,
wie sie die Stellung halten.
Und eine Stimme sagt mir: Du,
die Vögel machens richtig.
Versuch auch du im Fluß der Zeit
das Auf-der-Stelle-Treten.
Zumindest weißt du dann Bescheid,
wie lange so was gutgeht.
Ein Bild, ein Wort. Ich greif zum Stift,
um beides festzuhalten:
»Was bleibet aber, ist die Schrift«,
schreib ich und blicke flußwärts.
Nanu:
Die Enten auf dem Neckar hats
vertrieben auf die Schnelle.
Es ist auf dieser Welt kein Platz
für eine feste Stelle.
Drei Miniaturen
Hinter Würzburg. Sommer.
Das also ist der Main:
Ein breites Wasser,
ganz grün gesäumt
von Wiese, Weide, Weinberg.
So also fließt er hin:
Ein steter Spiegel
standhafter Städtchen
Türme, Tore, Treppen.
Das alles fliegt vorbei:
Ein rascher Reigen
besonnter Bildchen,
bunt, bewegt, bewegend.
Bei Konstanz. Herbst.
Blaue Berge, grüne Matten
Kleine Vögel, große Bäume
Ab und zu sitzt eine Katze
In der Wiese, träumt vom Mausen.
Pferd mit Decke, Kühe ohne
Nahe Schafe, ferne Kirchen
Ab und zu steigt eine Krähe
Aus dem Acker, der schon kahl ist.
Bauerngärten, Sonnenblumen
Trockne Wäsche, feuchte Erde
Ab und zu quillt aus dem Kraftwerk
Weißer Dampf ins Blau des Himmels.
Vor Gelnhausen. Winter.
Das ist geschickt gemacht:
Erst legt man dunkel
das Ganze an
mit Bächlein, Bäumen, Dächern.
Dann wird mit Weiß gehöht,
doch leicht lasierend,
so daß der Grund
als Ahnung noch hindurchscheint.
So, weiß in schwarz gemalt,
ergibt das zwanglos
den Scherenschnitt
der kleinen Stadt Gelnhausen.
Draus eine Kirche ragt.
Der Türme Zickzack
vor hellem Himmel
krönt das kleine Machwerk.
Von der Laufrichtung
Die nasse Straße windet sich
waldeinwärts durch die Felder.
Ein trocknes Plätzchen findet sich:
Durchquer du nur die Wälder.
Im düstern Walde windet es,
die Blätter fallen nieder.
Wer an sein Ziel glaubt, findet es:
Beweg du nur die Glieder.
Die nasse Straße windet sich
waldauswärts auf ein Haus zu.
Auch was enteilt, entschwindet nicht:
Die Katze Schicksal findet dich,
du allerliebste Maus du.
Im Netz
Hotel Bärenbad,
Haus der Versuchung!
Meine Verfluchung
kommt nicht vom Fleck:
In deinen Gängen
gehen die Uhren
anders.
Es fehlen die Ziffern,
und es kreist kein einziger
Zeiger.
Durch deine Flure,
die in Wirklichkeit ein
Netz sind,
Krauchen die Gäste,
in Wirklichkeit sind sie
Fliegen,
Langsam zum Speisesaal,
in Wirklichkeit Wohnsitz der
Spinne,
Die ihre Opfer
nicht aussaugt, sondern sie
füttert.
Mutterglück
im Hotel »Römerbad«
in Badenweiler
Ich bin die Mutter des XXX
von »Kraftwerk«.
Mein Sohn XXX ist seit Jahren
bei »Kraftwerk«.
Mein Sohn XXX ist fast ständig
auf Achse.
Er hat in der ganzen Welt Fans,
mein Sohn XXX.
In Japan wird »Kraftwerk«
begeistert gefeiert.
Mein Sohn XXX ist die Seele
von »Kraftwerk«.
Und ich bin die Mutter
meines Sohnes XXX.
Salzburg, Sebastiansfriedhof.
Eine Empfehlung
Du stehst auf Verfall?
Mensch, geh nach Salzburg!
Frag nach dem Sankt
Sebastiansfriedhof.
Schönere Schädel,
steinern und beinern,
starrten dich nie an
als hier im Kreuzgang.
Grab reiht an Grab sich
und Schädel an Schädel.
Fledermausflügel
umflattern den einen,
Schlangengezücht
hält den andern umfangen
und lugt aus dem Augloch.
Kein andres Geräusch
als der Klang deiner Schritte.
Kein andrer Gedanke
als der: Du bist sterblich.
Kein andres Gefühl
als dein lustvolles Grausen.
Da! Jener liegende
Tod unterm Grabtuch!
Halb gibt's ihn frei,
doch mitsamt dem Fleisch
vergeht auch die Scham.
Da! Jener stehende
Tod als Sieger!
Hippe und Sanduhr
stürzten Kronen und Helme.
Geh auch am Totenkopf,
der aus der Wand ragt,
nicht achtlos vorbei!
Leg deine Hand
in die Öffnung des Schädels:
Das bringt Unglück.
Wiener Verwandlung
Die Hand des Schicksals lenkte meine Füße
zum Café »Bräunerhof«, in das ich eintrat,
weil mir so war, als riefe Thomas Bernhard
ein »Gernhardt«, das mich ganz persönlich reinbat.
Des Dichters Machtwort bannt mich seither wehrlos
im »Bräunerhof« an einen jener Tische,
an welchen Gäste lautlos
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