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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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sie nur mehr die Wipfel an.
    Den Rest vom Tann, so still und grün,
    durchschneidt ein Baum, vor dessen Blühn
    sich finster eine Hecke stellt.
    So, Stück um Stück, versinkt die Welt.
    Er, sie, es
am 6 . Mai 2001
    Fatal (17 Uhr)
    Lesung in Hochheim. Der Ort: eine Kirche.
    Ich am Altar, ein sauberer Hirte,
    der seinen Schäfchen Giftkräuter reichte,
    Büschel voll Hohn, Bündel von Hochmut,
    lachenden Augs, doch beklommenen Herzens:
    Wenn Er sich nun rächte in Seinem Hause?
    Doch ER schwieg.
    Normal (20 Uhr)
    Essen im Landhaus. Ich munter im Kreise
    von Uraltbekannten. Vor gut vierzig Jahren
    siezten wir uns. Nun hieß es: Wie wars, Du?
    Im Schnellschritt ging es durch Lebensläufe:
    »Sprich, Erinnerung, sprich!« Doch statt dessen
    redeten wir, mit der üblichen Folge,
    daß SIE stumm blieb.
    Letal (22 Uhr)
    Zurück nach Frankfurt. Sie fuhr, ich erst schläfrig,
    dann wach, als sie bremste. Quer lag in Wirker
    ein Tier auf der Straße. Die blutige Lache
    sagte genug. Aber als ich es aufhob,
    das Tier, wars noch warm und weich und wie lebend,
    und ich streichelte es, was freilich nichts nützte,
    weil ES doch schon tot war.
    Erinerung an die grosse
helle Wolke über dem
Zürcher Hechtplatz am 24 . Mai 2001
    20 Uhr 30. Im Sitzen
    Daß ich hier sitze, macht Sinn.
    Hell sagt die Wolke: »Schau her!
    Ich werde mehr und mehr.«
    »Und ich«, sage ich mir, »schau hin.«
    21 Uhr. Im Gehen
    Daß ich dort saß, war o.k.
    Matt seufzt die Wolke: »Ich komm
    dir Grau in Grau. Doch ich glomm.«
    »Alles klar«, sage ich ihr: »Vergeh!«
    Hinter Darmstadt
    Sitzt der Mensch
    im Bordrestaurant,
    hat er ein Gegenüber.
    Trinkt da im Spiegel
    und ißt da wer:
    »So siehst du aus, mein Lieber!«
    Schaut der Mensch
    zum Zugfenster raus,
    sieht er da tote Kiefern.
    Denkt er, es wäre doch
    denkbar, daß sie
    bald meinen Sarg beliefern.
    Hat der Mensch
    seinen Teller geleert,
    rührt sich da Hunger nach Hoffen.
    Hebt er das Glas
    und prostet sich zu:
    »Noch ist das Fahrtende offen!«
    Germania
    Germania grüßt vor Rüdesheim,
    Wohl überm Roseneck,
    Ich bliebe liebend gern zu Haus
    Und fahr schon wieder weg.
    Germania grüßt? Germania dräut
    Heraus aus Berg und Wald.
    Ich fühlte mich gern runderneut
    Und fühl mich rundum alt.
    Germania dräut? Germania bleibt
    Mit Gruß und Dräun zurück.
    Indes die Hand dies niederschreibt,
    Liest's Auge »Bingerbrück«.
    Germania bleibt? Germania war,
    Germania ist verweht.
    Denn längst ist auch dem Dümmsten klar,
    Wohin die Reise geht.
    Germania war? Germania ist
    Schon wieder auf dem Marsch.
    Sie hat sich nach Berlin verfügt
    Und zeigt Bonn kühl den Arm.
    Germania ist? Germania frißt
    Sich stetig Richtung Ost,
    Vom deutschen Rhein zum Strand der Spree,
    Da geht sie ab, die Post.
    Germania frißt? Germania schlingt!
    Daß es sie nicht verreißt!
    Es wäre nicht das erste Mal,
    Daß sie die Welt beschummelt.
    Germania schlingt? Germania schluckt!
    Sie blickt nochmal zurück:
    Sie war ja doch nicht ganz verkehrt,
    Die Bonner Republik.
    Germania schluckt? Germania schluchzt:
    »Lebwohl, mein Roseneck!
    Ich bliebe gern am deutschen Rhein
    Und muß schon wieder weg.«
    Germania schluchzt? Germania seufzt:
    »So war das nicht gemeint!
    Wer hat sich eigentlich mit wem
    Im Jubeljahr vereint?«
    Germania seufzt? Germania schweigt.
    Mich trägt der Zug davon.
    Lebwohl! Wir sehn uns in Berlin.
    Doch heut muß ich nach Bonn.
    Flug Augsburg – Berlin
    Ziemlich tief unter mir
    diesig und riesig
    streckt sich sehr flaches Land
    unverstellt hiesig.
    Fliege darüber weg
    flüchtig und süchtig
    blick ich aufs Land hinab
    öde und tüchtig.
    Ziemlich hoch über mir
    heilig und eilig
    findet ein Engel mich
    flach und langweilig.
    An der Strecke Berlin – Weimar
    Auf einmal heißt es:
    Merseburg.
    Und du, wie unter
    Zauber
    Siehst nicht die laubfroschgrüne
    Lok
    Hörst nur den alterswehen
    Klang:
    Eiris sazun idisi
    Schon heißt es nicht mehr
    Merseburg
    Doch du, noch ganz
    bezaubert
    Fährst hin durch plattgemachtes
    Land
    Denkst, daß hier wohl kein Zauber
    half:
    Sazun hera duoder
    Schon weit zurück liegt
    Merseburg
    Du, nach und nach
    entzaubert
    Siehst nur Verwüstung und
    Verfall
    Weißt keinen Spruch, der hier noch
    hilft:
    Suma hapt heptidun
    Schau an: Jetzt heißts Groß-
    korbetha
    Das endet jeden
    Zauber
    So nimm denn Leben deinen
    Gang
    Ich hör ihn nicht, hörst du den
    Klang
    Suma heri dideldum…?
    Gespräch vor dem Erfurter Dom
und der Severinkirche
    A:
    Zu diesen zwei

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