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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Herz in Not zusammenstellte.
    Als ich vom Krebsbefund hörte, lag mir nichts ferner als eine Wiederholung einer vergleichbaren Recherche. Hier und da entstanden Gelegenheitsgedichte zum Thema, doch da war kein Gedanke an einen übergreifenden Zusammenhang. Erst die Wiederholung der Krankenhauserlebnisse, erst die Erfahrung der sich hinziehenden Chemotherapie beförderten weitere Mitteilungen, so viele schließlich, daß ich mich in der zweiten Hälfte des umwitterten Jahres der Einsicht beugte, es sei wohl an der Zeit, nach dem gefährdeten Herzen auch der anderen Volkskrankheit, dem Krebs, einen, diesmal fünfzigteiligen, Gedichtkranz zu winden.
    Dessen Mitteilungsformen sind erkennbar uneinheitlich; zu einigen der salopperen Einlassungen hat mich ein hierzulande weitgehend unbekannter Vorgänger ermutigt. Sein Name lautet J. B. S. Haldane, und daß ich von ihm und seinem Gedicht Cancer's a Funny Thing weiß, verdanke ich einem Leser von Herz in Not , Wiard Raveling aus Westerstede, der mir in einem Begleitbrief mitteilte: »Das Gedicht ist übrigens entnommen aus der Sammlung The Oxford Book of Twentieth-Century-English Verse, chosen by Philip Larkin  – ein durch und durch seriöses Unternehmen.«
    Zu Haldane und seinen Versen heißt es dort in einer Fußnote: »Das seltene Beispiel eines wirklich an die Öffentlichkeit gerichteten Gedichts. ›Die Hauptabsicht meiner Reime‹, schrieb Professor Haldane, der 1964 im Alter von 73 Jahren verstarb, ›war es, Krebspatienten dazu anzuhalten, sich rechtzeitig operieren und den Mut nicht sinken zu lassen‹.«
    Sängergleich hebt der Professor an:
    I WISH I had the voice of Homer
    To sing of rectal carcinoma,
    Which kills a lot more chaps, in fact,
    Than were bumped off when Troy was sacked.
    Sodann erzählt er von seinen eigenen Beschwerden, von der Diagnose Krebs, von der Darmoperation und ihrer Folge, dem künstlichen Darmausgang:
    So now I am like two-faced Janus
    The only god who sees his anus.
    Vor allem aber tut Professor Haldane das, was ich zum Schluß meines Zyklus ihm nachzumachen versucht habe: Er predigt Früherkennung und Hoffnung – sofern man seine waghalsigen Knittelverse überhaupt eine Predigt nennen kann.
    My final word, before I'm done,
    Is Cancer can be rather fun (…)
    Provided one confronts the rumour
    With a sufficient sense of humour (…)
    A spot of laughter, I am sure,
    Often accelerates one's cure -
    was der lachlustige Professor selber leider nicht erleben durfte.

    Noch ein weiteres, letztes Wort zu dem ersten Teil der K-Gedichte. Sie sind Volker Kriegel gewidmet, dem Musiker, Zeichner und Freund, der am 14. Juni 2003 an einem Krebs verstarb, den man erst kurz zuvor erkannt hatte und welchem nicht beizukommen war, weder durch eine Operation noch durch eine Chemotherapie.
    Wir wußten von unseren jeweiligen, freilich so unterschiedlichen Erkrankungen und tauschten Erfahrungen aus. Mitte Mai notierte ich nach einem Telefonat die folgenden Zeilen, denen vorausgeschickt sei, daß auch ich Grund gehabt hatte, mich mit der Bedeutung der Wörter »adjuvant« und »palliativ« vertraut zu machen, da ein junger Arzt der Universitätsklinik mir ungemein unbekümmert und bemerkenswert beiläufig zu verstehen gegeben hatte, in meinem Fall käme ja wohl nur noch eine »palliative Therapie« in Frage:
    »Habe ich das eigentlich bereits notiert: Daß Volker Kriegel mir vor Wochen erzählt hat, er habe kurz nach der Nachricht von seinem unheilbaren Krebs beim Verlassen eines Gebäudes an einem gegen überliegenden Haus die Inschrift gelesen ›Klinik‹ – oder Hospital? – ›für palliative Medizin‹, was ja meint: ›lebensverlängernd, schmerzmindernd‹, letztlich: ›in den Tod begleitend‹?
    Ich bewahrte diese vielsagende Geschichte in meinem Herzen, erinnerte mich jedoch nicht mehr des Orts der Handlung: War das dem Volker in seiner Heimatstadt Wiesbaden widerfahren? In Mainz?
    Doch dann führt mich ein Aufnahmetermin in ein Frankfurter Tonstudio, das in einer mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannten, bisher nie betretenen Straße der Altstadt liegt, direkt am jüdischen Friedhof, und als ich das Studio verlasse, sehe ich mich einem Gebäude gegenüber, auf welchem geschrieben steht ›Evangelisches Hospital für palliative Medizin‹ – und dieses Erlebnis veranlaßt mich, bei Volker nachzufragen, wo er denn dergleichen gelesen hatte. Seine Antwort: »In Frankfurt, in der Rechneigrabenstraße, direkt am jüdischen

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