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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Ulrich Stein aus Alf an der Mosel. Der läßt es sich nicht nehmen, in guten Jahren besonders gut gelungenen feinherben Riesling seiner Lage »Alfer Hölle« mit einem von mir gezeichneten Etikett auszustatten und ihn durch vier Sterne als herausragenden Wein auszuzeichnen. Und wo er recht hat, der Ulrich Stein, da hat er recht.

    Neue Volkslieder hatte ich versprochen und mich dabei an einem der herausragenden Dialekte unseres Volkes vergriffen, am Schwäbischen.
    Zwar war mir der nicht ganz fremd – schließlich hatte ich Jahre des Kunststudiums auf dem Stuttgarter Killesberg verbracht–, doch horchte ich sogleich auf, als der »waschechte« Schwabe Eberhard Rapp mir im Gespräch zu verstehen gab, mein zweites »neues Volkslied« sei in einer Sprache verfaßt, die kein Schwabe als »schwäbisch« klassifizieren würde.
    Wie denn die korrekte »schwäbische« Version der Zeilen lauten würde, wollte ich wissen und hielt kurz darauf, im Juli 2002, den folgenden Brief in Händen:

    Lieber Herr Gernhardt,

    Sie verlangen Unmögliches.
    Ich versuch's trotzdem – wohl wissend,
    daß auch diese Version möglicherweise
    vorne und hinten nicht stimmt.
    Weil es hierzulande ja kein Hochschwäbisch gibt,
    an dem man sich orientieren könnte.
    Und weil der Schwabe ja ein ganz eigenes
    Grammatik- und Schbra:ch-Empfinden hat,
    und weil jeder Schwabe überzeugt ist,
    daß das Schwäbisch, das er spricht,
    das einzig richtige ist, während alle anderen
    davon ja koi ahnung hend.

    Margeriddabliemle
    i rupf dir oi bläddle oms andere raus
    sag mr doch ob se me gern hadd
    na sag i dir ao
    wieviel bläddla du ghedd hasch.

    Folgende Annahmen liegen dieser Version zugrunde:
Der Schwabe ist unfähig, zwischen Blüte und Blume zu differenzieren.
Für ihn ist alles eine Blume sprich a bliemle/blümle.
Genausowenig kann er übrigens ein Bein von einem Fuß unterscheiden:
Für ihn sind beide »füaß« oder »fuaß«.
»Lieben« würde dem Schwaben im Leben nie über die Lippen kommen.
»Nix gega oine han« kommt der Sache schon näher.
Das höchste der Gefühle ist jemanden gern zu haben, und wenn's hoch kommt, »obacha gern han« – auch »brudda:l gern han« oder »o:glaublich gern han« würden den Kern treffen.
Je mehr Schwaben Sie fragen, wie's denn nun richtig sei,
desto mehr Versionen erhalten Sie. Und jeder wäre überzeugt,
daß seine Nachdichtung die einzig zulässige wäre.
So auch ich.

    Hilft Ihnen das weiter,
    fragt freundlich grüßend/
    grüßt freundlich fragend

    Eberhard Rapp

    20–07-02

    Die K-Gedichte - Die ersten beiden Teile dieses Buches, Krankheit als Schangse und Krieg als Shwindle , beschließt ein dritter, ein Nachwort, das mit einem doppelten K auftrumpfen kann:
    Kunst als Küchenmeister
    Was nährt die Dichtkunst: Heil oder Unheil? Was beflügelt den Dichter: Beschwören oder Beklagen? Was löst seine Zunge: Rühmen oder Verfluchen? Was läßt ihn zur Feder greifen: Belachen oder Verlachen?
    Anders gefragt: Was sind dem Dichter Leid und Tod? Ein gefundenes Fressen? Abfälle vom Tisch des Lebens? Und wer wirkt in der dazugehörigen Küche? Ist dort Schmalhans Küchenmeister? Oder schwingt eine nudeldicke Deern den Kochlöffel?

    In der zweiten Augusthälfte des Jahres 2002 hatte der S. Fischer Verlag meinen Gedichtband. Im Glück und anderswo herausgebracht, und bereits am 3. September konnte ich eine erste kritische Würdigung meiner lyrischen Ernte lesen. Martin Halter hatte sich in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung des Werks angenommen und mit hellseherischem Spürsinn einen existentiellen Makel ausgemacht: »Als Gernhardt nach einer schweren Operation sein ›Herz in Not‹ öffnete, spürte man unter dem leichten Ton den schweren Atem des Todes. Inzwischen ist sein bald 65jähriges Herz wieder pumperlgsund – und die Gedanken über Vergänglichkeit und Vergeblichkeit erscheinen mehr routiniert gemacht als existentiell empfunden.«
    Worte, die mich nachdenklich stimmten. Woher war der mir völlig unbekannte Kritiker über den Zustand meines Herzens unterrichtet? Wodurch fühlte er sich dazu berechtigt, den kumpelhaften Befund »pumperlgsund« in seiner Kritik öffentlich zu machen? Und wieso wußte er nicht, daß der Mensch ein Mängelwesen ist, bei dem außer dem Herzen noch so manches andere entzwei gehen kann?
    Bei mir jedenfalls verhielt es sich so: Ich las Martin Halters kritische Ferndiagnose als Rekonvaleszent. Keine zwei Wochen zuvor hatte ich mich in der Frankfurter

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