Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
erklärter Nachfolge des Vorreiters Ernst Jandl, der mit »ottos mops« den Weg freigemacht hatte für »Annas Gans«, »Gudruns Luchs« und »Gittis Hirsch«.
Und ich stieß auf eine Regel, besser: Sprachregelung, von welcher ich bis zum Beweis des Gegenteils behaupte, ich sei ihr Entdecker, ich fand den »Konsonant-Erweiterungs-Dreh«, kurz KED.
Hört sich dunkel an, meint aber einen leicht zu erhellenden Sachverhalt. Bereits der Frühromantiker Friedrich Schlegel hätte ihm seinen Namen geben können, die »Schlegel-Regel«, doch er war offenbar mit Blindheit geschlagen.
Es wehet kühl und leise
Die Luft durch dunkle Auen,
und nur der Himmel lächelt
aus tausend hellen Augen.
So vielversprechend hebt sein Gedicht Die Gebüsche an, doch der Konsonant-Erweiterung »Auen – Augen« folgen enttäuschend schlichte Assonanzen: Brausen-rauschen, trauren-hauchen, Traume-lauschet.
Bedauerlich, doch kein Grund zu trauren. Denn in solchen Fällen verwandelt sich der verständnisvolle Lyrikleser Robert in den kompromißlosen Lyrikwart Gernhardt, der das Prinzip, nach welchem Schlegel angetreten, umsichtig aufgreift und unnachsichtig durchführt – das vollständige Ergebnis dieser Operation ist auf den Seiten 826 und 827 nachzulesen.
Hier sei lediglich soviel angemerkt: Auen – Augen, Brauen – Brausen, tauen – taugen, Grauen – Grausen–: Das erfüllt nicht nur den KED, das reimt sich auch noch, und wer dem Gedicht zwiefache Sporen zu geben weiß, der läßt es doppelt so kunstvoll dahintraben.
Die Schlegel-Lektüre hatte mich nicht zufällig zum Weiterdichten angeregt. Der KED hatte sich mir schon zuvor eines schönen Morgens auf toskanischer Terrasse offenbart, als die vorerst ziellose Suchbewegung eines Gedichtbeginns in die Fügung »enden-ändern« gemündet war. Mehr davon, dachte sich der Finder und ließ nicht eher ab, bis er getreu der Faustregel »Eins, zwei, viele« insgesamt drei KED-Beispiele gefunden und ins – naturgemäß – dreistrophige Gedicht eingebaut hatte. Alles R-Erweiterungen, alles Tätigkeitswörter, alles Funde, die ich erst nach längerem Stöbern aufgespürt hatte. Doch war das schon alles?
Keineswegs. Immer dann, wenn ich das Gedicht öffentlich vortrug und seinen Bauplan erläuterte, wurden mir nach der Lesung weitere R-Erweiterungs-Ergänzungs-Verben zugesteckt, und je mehr Beispiele zusammenkamen, desto tiefer bewunderte ich den verborgenen Reichtum meiner Sprache: Hatte ich doch tatsächlich anfangs geglaubt, das Potential bereits ausgereizt zu haben.
Von wegen! Schlingen – schlingern, kauen – kauern, läuten – läutern, trauen – trauern, leihen – leiern, scheuen – scheuern, reihen – reihern, steigen – steigern, hemmen – hämmern, lesen – lasern, heuen – heuern, schallen – schallern, reden – rädern, verbitten – verbittern, erschauen – erschauern–: Und auch damit ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesagt. Bisher hat mir die Zeit gefehlt, das von vielen Helferinnen und Helfern zusammengetragene Sprachmaterial zum Gedichtbau zu nutzen. Vielleicht macht sich ein anderer an diese Aufgabe?
Da aller guten Dinge drei sind, hier noch ein drittes, bisher unveröffentlichtes Beispiel für einen konsequent durchgeführten KED, diesmal anhand von Tätigkeits- und Hauptwörtern.
Ich saß eines schönen Mittags in einem Speiselokal der Stadt Luxemburg, als mir ohne jeden ersichtlichen Anlaß die folgende Zeile durch den Kopf ging: »Das ist sone Sache, sagte der Sachse.«
Hat was, dachte ich und nutzte die Wartezeit dazu, die deutsche Sprache im Schnelldurchgang nach weiteren brauchbaren S-
Erweiterungen zu durchsuchen. Und ich wurde fündig: Wache – wachse, Fache – faxe, Lache – Lachse…
Lachse! War es das Wort, war es die Tatsache, daß ich ausgerechnet auf eine Fischsuppe wartete? Ach – warum die Elemente aus dem Komplex trennen?! Lesen Sie lieber das hochkomplexe Fisch-Gedicht, welches fertig vor mir lag, noch bevor das vergleichsweise schlichte Fischgericht vor mir stand:
Das sei sone Sache,
sagte der Sachse.
Er halte hier Wache,
ob der Fischbestand wachse.
Forellen im Bache,
er fangse und backse -
das sei keine Mache:
»Ich gennse und magse.«
Doch sei er vom Fache,
weshalb er jetzt faxe:
»Solch flache Lache
ist nichts für Lachse.«
Beim erwähnten und ersehnten »Stein-Wein« handelt es sich nicht etwa um den handelsüblichen »Würzburger Stein«, sondern um einen Wein des Winzers
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