Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Berufe, ein Blick.
Sie sehn deinen Körper,
sie sehn deine Küche
und fragen entgeistert
vor Narbe, vor Leitung:
»Wer hat Ihnen die denn gemacht?!«
Visite zum vierten
»Herr Doktor, diese Geräusche -«
»Bin Pfleger, kein Doktor.«
»Frau Doktor, diese Geräusche
am Herzen -« »Bin Praktikantin.«
»Als ob da ein Tierchen
an den Gefäßen nagte -«
»Fragen Sie Ihren Arzt oder Kammerjäger!«
Der Tag des Post-Op: Morgens
Post-Op-Schmerzen
sind Indianer,
überfalln dich, wenn's tagt.
Verteidigung zwecklos,
sie sind längst im Blockhaus,
um – von wegen lautlos! -
mit Geheul deinen Schlaf zu skalpieren.
Der Tag des Post-Op: Mittags
Wofür hält sich mein Körper?
Was glaubt er eigentlich,
mit wem er's zu tun hat?
Eine Stunde fürs Pinkeln!
Hab schließlich meine
Zeit nicht – »Doch. Hast.
Husch, husch, zurück aufs Töpfchen!«
Der Tag des Post-Op: Abends
Blumen des Bösen:
Wie er leidend und müde
hinsinkt aufs Pfühl,
geschwächt, blüht dem Körper
die Herpes. Ohnmächtig
erträgt er das Jucken
und nennt diese Flora: hinternhältig.
Das auch
Es quillen auch Tränen.
Die Anlässe: fließend.
Ein Foto von Wolf,
ein Erinnern der Toten,
ein Druck jener Hand,
die das Wasser in den Vasen
wechselt und meine Hand festhält.
Dreifach genetztes Tüchlein – Quiz
Auf der Fingerkuppe
stillt es die Blutung.
Ans Aug geführt
trocknet es Tränen.
Rasch die Stirn getupft,
und wir halten in Händen
das Versprechen eines zu erratenden britischen Staatsmannes.
Er wünscht sich einen Fotografen herbei
Von Tag zu Tag seh ich,
wie sich im Spiegel
ein Gesicht entwickelt:
Das eines Großes Leidenden
Das eines Vieles Wissenden
Das eines Tiefes Schauenden -
Das Gesicht fürs Feuilleton und für die Gesammelten Werke.
Vom Ich zum Wir
Millionen umschlingt schon
ein einigend Band:
Ich leide, du leidest,
er leidet: Wir leiden.
Sie haben gelitten,
ihr werdet noch leiden:
Unser Orden wächst Tag für Tag.
Praktikantin Pega
Groß ist die Medizin
der weißen Männer.
Klein ist Pega
und von persischem Schwarz.
Wer hat ihr beigebracht,
daß man Menschen auch streicheln kann?
Ein weißer Medizinmann jedenfalls nicht.
Es geht aufwärts
Genesen bedeutet
drei Stufen steigen,
zweimal straucheln,
einmal fallen.
Es geht zwar bergauf,
doch es gibt Augenblicke,
da ersehnst du die Mühen der Ebene.
Lauter Abschiede
So nach und nach bleiben
ich und mein Körper
allein. Fort die Röhren,
Drainagen, Katheter.
Nur diese zwei Drähte,
die ragen noch aus mir,
und die zieht die Ärztin mir iiiitzt.
Mensch Monster
Schon gut, daß der Mensch
zum Großteil bedeckt ist.
Aus Frankenstein wird so
wieder Herr Gernhardt.
Nur noch der Anfang
der Narbe im Ausschnitt
des Pullis verrät was vom Monster darunter.
Krankengymnastik zum ersten
Unter lauter bleichen
hinfäll'gen Greisen
ein strahlender Jungmann:
Der alles begreift,
der alles erfüllt,
der als erster einhält,
als ihn das Strampeln ermüdet.
Krankengymnastik zum zweiten
Inmitten der Erstarkenden
sie, die von Schwäche redet:
»Bin schon zum zweiten Mal hier.
Mein Bypass war nach einem Jahr zu.
Bei der Dilatation dann
platzte die Vene -«
»Ob der Klinsmann heut' fit ist?« fragt mich eifrig der Nachbar.
Er kalauert
Als der Dichter erfuhr,
er werde sein Leben lang
Aspirin essen müssen,
da bat er, man möge
den allfälligen Nachruf
auf den Satz reduzieren
»Er aß Pirin.«
Die Ärztin ermahnt
Freundliches Gebot,
ich dürfe drei Monate lang
nichts heben, was schwerer
wiegt als vier Kilo:
»Ich wüsch gern mit ab,
doch Handtuch plus Teller
dürften leider mein zulässiges Gesamtgewicht überschreiten.«
Letzte Visite
»Guten Morgen, wie geht's denn
unserem Starpatienten?«
Der Starpatient schämt sich,
daß ihm so flau ist.
Den Glanz des Stars
darf der Patient nicht verdunkeln:
»Von Tag zu Tag besser, Herr Professor!«
21.6. Entlassung
Letzter Tag
im ersten Haus,
dem ich mich ganz öffnete.
Möge es auch
das letzte bleiben,
das von sich sagen kann:
Mir hat er sein Herz entblößt.
Vorläufiges Fazit
Das Leben hat mir
die Instrumente gezeigt.
Ich habe genickt,
zum Zeichen, daß ich begriffen habe.
Seither sinne ich,
wie ich das Leben austricksen kann.
Beifällig nickt dazu Gevatter Tod.
Gedichte aus Klappaltar
1998
I
Linker Flügel
Lied der Bücher
ODER
Juni mit Heine
I
Prolog im Himmel
Als im achtzehnten Jahrhundert
Gottes Blick zur Erde
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