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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Berufe, ein Blick.
    Sie sehn deinen Körper,
    sie sehn deine Küche
    und fragen entgeistert
    vor Narbe, vor Leitung:
    »Wer hat Ihnen die denn gemacht?!«
    Visite zum vierten
    »Herr Doktor, diese Geräusche -«
    »Bin Pfleger, kein Doktor.«
    »Frau Doktor, diese Geräusche
    am Herzen -« »Bin Praktikantin.«
    »Als ob da ein Tierchen
    an den Gefäßen nagte -«
    »Fragen Sie Ihren Arzt oder Kammerjäger!«
    Der Tag des Post-Op: Morgens
    Post-Op-Schmerzen
    sind Indianer,
    überfalln dich, wenn's tagt.
    Verteidigung zwecklos,
    sie sind längst im Blockhaus,
    um – von wegen lautlos! -
    mit Geheul deinen Schlaf zu skalpieren.
    Der Tag des Post-Op: Mittags
    Wofür hält sich mein Körper?
    Was glaubt er eigentlich,
    mit wem er's zu tun hat?
    Eine Stunde fürs Pinkeln!
    Hab schließlich meine
    Zeit nicht – »Doch. Hast.
    Husch, husch, zurück aufs Töpfchen!«
    Der Tag des Post-Op: Abends
    Blumen des Bösen:
    Wie er leidend und müde
    hinsinkt aufs Pfühl,
    geschwächt, blüht dem Körper
    die Herpes. Ohnmächtig
    erträgt er das Jucken
    und nennt diese Flora: hinternhältig.
    Das auch
    Es quillen auch Tränen.
    Die Anlässe: fließend.
    Ein Foto von Wolf,
    ein Erinnern der Toten,
    ein Druck jener Hand,
    die das Wasser in den Vasen
    wechselt und meine Hand festhält.
    Dreifach genetztes Tüchlein – Quiz
    Auf der Fingerkuppe
    stillt es die Blutung.
    Ans Aug geführt
    trocknet es Tränen.
    Rasch die Stirn getupft,
    und wir halten in Händen
    das Versprechen eines zu erratenden britischen Staatsmannes.
    Er wünscht sich einen Fotografen herbei
    Von Tag zu Tag seh ich,
    wie sich im Spiegel
    ein Gesicht entwickelt:
    Das eines Großes Leidenden
    Das eines Vieles Wissenden
    Das eines Tiefes Schauenden -
    Das Gesicht fürs Feuilleton und für die Gesammelten Werke.
    Vom Ich zum Wir
    Millionen umschlingt schon
    ein einigend Band:
    Ich leide, du leidest,
    er leidet: Wir leiden.
    Sie haben gelitten,
    ihr werdet noch leiden:
    Unser Orden wächst Tag für Tag.
    Praktikantin Pega
    Groß ist die Medizin
    der weißen Männer.
    Klein ist Pega
    und von persischem Schwarz.
    Wer hat ihr beigebracht,
    daß man Menschen auch streicheln kann?
    Ein weißer Medizinmann jedenfalls nicht.
    Es geht aufwärts
    Genesen bedeutet
    drei Stufen steigen,
    zweimal straucheln,
    einmal fallen.
    Es geht zwar bergauf,
    doch es gibt Augenblicke,
    da ersehnst du die Mühen der Ebene.
    Lauter Abschiede
    So nach und nach bleiben
    ich und mein Körper
    allein. Fort die Röhren,
    Drainagen, Katheter.
    Nur diese zwei Drähte,
    die ragen noch aus mir,
    und die zieht die Ärztin mir iiiitzt.
    Mensch Monster
    Schon gut, daß der Mensch
    zum Großteil bedeckt ist.
    Aus Frankenstein wird so
    wieder Herr Gernhardt.
    Nur noch der Anfang
    der Narbe im Ausschnitt
    des Pullis verrät was vom Monster darunter.
    Krankengymnastik zum ersten
    Unter lauter bleichen
    hinfäll'gen Greisen
    ein strahlender Jungmann:
    Der alles begreift,
    der alles erfüllt,
    der als erster einhält,
    als ihn das Strampeln ermüdet.
    Krankengymnastik zum zweiten
    Inmitten der Erstarkenden
    sie, die von Schwäche redet:
    »Bin schon zum zweiten Mal hier.
    Mein Bypass war nach einem Jahr zu.
    Bei der Dilatation dann
    platzte die Vene -«
    »Ob der Klinsmann heut' fit ist?« fragt mich eifrig der Nachbar.
    Er kalauert
    Als der Dichter erfuhr,
    er werde sein Leben lang
    Aspirin essen müssen,
    da bat er, man möge
    den allfälligen Nachruf
    auf den Satz reduzieren
    »Er aß Pirin.«
    Die Ärztin ermahnt
    Freundliches Gebot,
    ich dürfe drei Monate lang
    nichts heben, was schwerer
    wiegt als vier Kilo:
    »Ich wüsch gern mit ab,
    doch Handtuch plus Teller
    dürften leider mein zulässiges Gesamtgewicht überschreiten.«
    Letzte Visite
    »Guten Morgen, wie geht's denn
    unserem Starpatienten?«
    Der Starpatient schämt sich,
    daß ihm so flau ist.
    Den Glanz des Stars
    darf der Patient nicht verdunkeln:
    »Von Tag zu Tag besser, Herr Professor!«
    21.6.  Entlassung
    Letzter Tag
    im ersten Haus,
    dem ich mich ganz öffnete.
    Möge es auch
    das letzte bleiben,
    das von sich sagen kann:
    Mir hat er sein Herz entblößt.
    Vorläufiges Fazit
    Das Leben hat mir
    die Instrumente gezeigt.
    Ich habe genickt,
    zum Zeichen, daß ich begriffen habe.
    Seither sinne ich,
    wie ich das Leben austricksen kann.
    Beifällig nickt dazu Gevatter Tod.

Gedichte aus Klappaltar
    1998
    I
    Linker Flügel
    Lied der Bücher
ODER
Juni mit Heine
    I
    Prolog im Himmel
    Als im achtzehnten Jahrhundert
    Gottes Blick zur Erde

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