Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Uhren,
Papiere, Wertsachen« -
jetzt zählen nur noch
innere Werte:
Ein beherztes Herz
und brauchbare Venen.
Trösterin Kunst
Am Bett eine Karte:
»Max Schmitt im Einer«
von Thomas Eakins
ist eins jener Bilder,
das der Menschheit mal mildernde
Umstände einbringt,
falls Gott so was wie ein Herz hat.
Stets drohender Rausschmiß
Das alles, das Malen,
das Schreiben, das Singen,
scheint hell nur vor
der Folie des Dunkels,
aus dem wir jüngst kamen,
in das wir jäh gehen:
»Sie könn' hier nicht ewig nach Sinn suchen, Sie!«
Dichterlos
Es hat der Tod
einen Stachel für jeden
und einen speziell
für jene, die schreiben:
Zu wissen, man wird
was erleben und kann
ums Verrecken nicht mehr darüber berichten.
Vorabend: Moment der Besinnung
Der letzte Abend
der Unversehrtheit,
der Körperunschuld,
der Körperdummheit.
Morgen abend werd ich
ein anderer sein.
Versehrter bestimmt. Auch verständiger?
Vorabend: Bei Betrachtung des OP-Hemdes
Es hat das OP-Hemd
keinerlei Taschen.
Es ist strahlend weiß
und hinten zu schließen.
So, besitzlos und rein,
trät' man gern vor den Herrgott -
nur bitte nicht gleich und sofort.
Vorabend: Volles Programm
In Manchester hat
Berti Vogts' Team gewonnen.
In Paris ist Stich
am Russen gescheitert.
In Bad Nauheim löscht Gernhardt
den Fernseher und
wirft schon mal zwei Rohypnol ein.
Nach der Einnahme von zwei Rohypnol
Man sagt, dieses Zeug
mache wurschtig und sorglos.
Oder war's sinnlos,
haltlos und witzlos?
Ist mir so was von wurscht!
Weshalb sich groß sorgen
um Sinn, Halt und Witz?
10.6. Am Morgen der Operation
Bei so schönem Wetter
sollte man eigentlich
im Freien operieren,
auf blühender Wiese,
die Stirnen umkränzt
von Blüten: »Schwester -
binden Sie doch mal bitte die Primel hier ab!«
II Post-Op
Er wacht in der Intensivstation auf
Bett an Bett
Herr Atatt, Herr Gernhardt.
Herrn Gernhardt geschieht,
was Herrn Atatt geschehn ist.
Grad wird Herr Atatt
extubiert. Befremdet
lauscht Herr Gernhardt den Lauten, die er gleich ausstoßen wird.
Der Oberarzt beschert ihm eine Anekdote
Als man Herrn Gernhardts
Kehle die Röhre
entzog und er flüsterte:
»Jetzt kann ich ja wieder
Dichterlesungen abhalten« -
da sprach's aus dem Dunkel:
»Dann fang' Sie doch mal gleich mit dem ›Arnold Hau‹ an.«
Vorfall zum ersten: Der Reanimierer erzählt
»Sie sind plötzlich umgekippt.
Zufällig noch in der Intensivstation.
Ich hatte zufällig
meinen Pacemaker dabei.
Sie waren einfach weg.
Ich hab Sie zweimal gepaced« -
lacht mein Programmierer und winkt mit der Fernbedienung.
Vorfall zum zweiten: Der Oberarzt erklärt
»Da haben wohl Ihre
Elektrolyte verrückt gespielt.
Da lag eine rare
Unverträglichkeit vor.
Kalium plus Beta-Blocker
kann in seltenen Fällen« -
Befremdet spür ich, wie Stolz in mir aufkeimt.
Vorfall zum dritten: Letzte Fragen
»Und? Was gesehn?
Das Licht am Ende
des Tunnels? Was durchlebt?
Deine Vita, die vor
deinem geistigen Auge
im Zeitraffer« – »Nichts.
Muß wohl in die falsche Richtung geguckt haben.«
Vorfall zum vierten: Kränkung
Als ich den Freund,
der selber gern kränkelte,
anrief und ihm
en passant auch von meinem
Herzstillstand berichtete,
fragte der gekränkt:
»Was ist? Willst jetzt angeben?«
Vorfall zum fünften: Wer weiß
Vielleicht werd ich einst
mich voll Wehmut erinnern
an den heutigen Vorfall.
Vielleicht heißt es einst:
»Nach langer, schwerer Krankheit«,
und nicht, wie's heut hieße:
»Plötzlich und unerwartet.«
15.6. Er liest Thomas Bernhard »Alte Meister«
»Ja, ja, sagte Reger,
der Sekundenherzschlag
ist ein beneidenswerter
Tod. Hätten wir selbst
nur einmal den Sekunden-
herzschlag, wir hätten
das größte Glück, sagte er.«
Zwischenbilanz
Prä-Op, Post-Op -
zwei Zeiten, zwei Welten.
Hat was von Fronterlebnis.
Hat was von Feuertaufe.
Vorher will man's wissen,
hinterher ist man klüger
und reduziert die Erfahrung auf das Wörtchen »Scheißkrieg«.
Visite zum ersten
Die tapern durch Flure
in Pyjamas, im Turnzeug,
die eilen durch Zimmer
in blendendem Weiß–:
Das sind zwei Klassen,
nein Rassen, nein Arten:
Die Aufgeschnittenen und die Aufschneider.
Visite zum zweiten
»Da haben Sie Schmerzen?
Da unten am Knöchel?«
Erwartungsvolles Nicken.
»Deshalb entnehme ich
die Vene immer ein Stück
oberhalb des Knöchels.«
Achselzuckendes Seufzen.
Visite zum dritten
Chirurgen, Klempner -
zwei
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