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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Uhren,
    Papiere, Wertsachen« -
    jetzt zählen nur noch
    innere Werte:
    Ein beherztes Herz
    und brauchbare Venen.
    Trösterin Kunst
    Am Bett eine Karte:
    »Max Schmitt im Einer«
    von Thomas Eakins
    ist eins jener Bilder,
    das der Menschheit mal mildernde
    Umstände einbringt,
    falls Gott so was wie ein Herz hat.
    Stets drohender Rausschmiß
    Das alles, das Malen,
    das Schreiben, das Singen,
    scheint hell nur vor
    der Folie des Dunkels,
    aus dem wir jüngst kamen,
    in das wir jäh gehen:
    »Sie könn' hier nicht ewig nach Sinn suchen, Sie!«
    Dichterlos
    Es hat der Tod
    einen Stachel für jeden
    und einen speziell
    für jene, die schreiben:
    Zu wissen, man wird
    was erleben und kann
    ums Verrecken nicht mehr darüber berichten.
    Vorabend: Moment der Besinnung
    Der letzte Abend
    der Unversehrtheit,
    der Körperunschuld,
    der Körperdummheit.
    Morgen abend werd ich
    ein anderer sein.
    Versehrter bestimmt. Auch verständiger?
    Vorabend: Bei Betrachtung des OP-Hemdes
    Es hat das OP-Hemd
    keinerlei Taschen.
    Es ist strahlend weiß
    und hinten zu schließen.
    So, besitzlos und rein,
    trät' man gern vor den Herrgott -
    nur bitte nicht gleich und sofort.
    Vorabend: Volles Programm
    In Manchester hat
    Berti Vogts' Team gewonnen.
    In Paris ist Stich
    am Russen gescheitert.
    In Bad Nauheim löscht Gernhardt
    den Fernseher und
    wirft schon mal zwei Rohypnol ein.
    Nach der Einnahme von zwei Rohypnol
    Man sagt, dieses Zeug
    mache wurschtig und sorglos.
    Oder war's sinnlos,
    haltlos und witzlos?
    Ist mir so was von wurscht!
    Weshalb sich groß sorgen
    um Sinn, Halt und Witz?
    10.6.  Am Morgen der Operation
    Bei so schönem Wetter
    sollte man eigentlich
    im Freien operieren,
    auf blühender Wiese,
    die Stirnen umkränzt
    von Blüten: »Schwester -
    binden Sie doch mal bitte die Primel hier ab!«
    II Post-Op
    Er wacht in der Intensivstation auf
    Bett an Bett
    Herr Atatt, Herr Gernhardt.
    Herrn Gernhardt geschieht,
    was Herrn Atatt geschehn ist.
    Grad wird Herr Atatt
    extubiert. Befremdet
    lauscht Herr Gernhardt den Lauten, die er gleich ausstoßen wird.
    Der Oberarzt beschert ihm eine Anekdote
    Als man Herrn Gernhardts
    Kehle die Röhre
    entzog und er flüsterte:
    »Jetzt kann ich ja wieder
    Dichterlesungen abhalten« -
    da sprach's aus dem Dunkel:
    »Dann fang' Sie doch mal gleich mit dem ›Arnold Hau‹ an.«
    Vorfall zum ersten: Der Reanimierer erzählt
    »Sie sind plötzlich umgekippt.
    Zufällig noch in der Intensivstation.
    Ich hatte zufällig
    meinen Pacemaker dabei.
    Sie waren einfach weg.
    Ich hab Sie zweimal gepaced« -
    lacht mein Programmierer und winkt mit der Fernbedienung.
    Vorfall zum zweiten: Der Oberarzt erklärt
    »Da haben wohl Ihre
    Elektrolyte verrückt gespielt.
    Da lag eine rare
    Unverträglichkeit vor.
    Kalium plus Beta-Blocker
    kann in seltenen Fällen« -
    Befremdet spür ich, wie Stolz in mir aufkeimt.
    Vorfall zum dritten: Letzte Fragen
    »Und? Was gesehn?
    Das Licht am Ende
    des Tunnels? Was durchlebt?
    Deine Vita, die vor
    deinem geistigen Auge
    im Zeitraffer« – »Nichts.
    Muß wohl in die falsche Richtung geguckt haben.«
    Vorfall zum vierten: Kränkung
    Als ich den Freund,
    der selber gern kränkelte,
    anrief und ihm
    en passant auch von meinem
    Herzstillstand berichtete,
    fragte der gekränkt:
    »Was ist? Willst jetzt angeben?«
    Vorfall zum fünften: Wer weiß
    Vielleicht werd ich einst
    mich voll Wehmut erinnern
    an den heutigen Vorfall.
    Vielleicht heißt es einst:
    »Nach langer, schwerer Krankheit«,
    und nicht, wie's heut hieße:
    »Plötzlich und unerwartet.«
    15.6.  Er liest Thomas Bernhard »Alte Meister«
    »Ja, ja, sagte Reger,
    der Sekundenherzschlag
    ist ein beneidenswerter
    Tod. Hätten wir selbst
    nur einmal den Sekunden-
    herzschlag, wir hätten
    das größte Glück, sagte er.«
    Zwischenbilanz
    Prä-Op, Post-Op -
    zwei Zeiten, zwei Welten.
    Hat was von Fronterlebnis.
    Hat was von Feuertaufe.
    Vorher will man's wissen,
    hinterher ist man klüger
    und reduziert die Erfahrung auf das Wörtchen »Scheißkrieg«.
    Visite zum ersten
    Die tapern durch Flure
    in Pyjamas, im Turnzeug,
    die eilen durch Zimmer
    in blendendem Weiß–:
    Das sind zwei Klassen,
    nein Rassen, nein Arten:
    Die Aufgeschnittenen und die Aufschneider.
    Visite zum zweiten
    »Da haben Sie Schmerzen?
    Da unten am Knöchel?«
    Erwartungsvolles Nicken.
    »Deshalb entnehme ich
    die Vene immer ein Stück
    oberhalb des Knöchels.«
    Achselzuckendes Seufzen.
    Visite zum dritten
    Chirurgen, Klempner -
    zwei

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