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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Gifte!
    Wieso läuten nicht die Glocken?
    Wieso sinken nicht die Menschen
    in die Knie und rufen: Heilig?
    Wieso sagt mir nicht mein Körper:
    »Danke, Meister. Das war riesig!
    Aber nun: Abuse as usual!«?
    23.5.  Er liest die »Bild«-Zeitung
    »Tod nach dem Füttern«:
    Der Springreiter Ligges
    wurde besprungen vom
    stärkeren Reiter,
    wurde bezwungen vom
    härteren Gegner, vom
    »berüchtigten Sekunden-Tod«.
    Herz ist Trumpf
    Herzliches Beileid
    und herzlichen Dank!
    Mit herzlichen Grüßen -
    Nicht: Köpfliches Beileid
    und bäuchlichen Dank!
    Mit ärschlichen Grüßen–:
    Nur »herzlich« kommt wirklich von Herzen!
    Dankbarer Dichter
    Es schreibt übers Herz sich
    sinnlich und schlüssig.
    Funktion und Lage
    des Organs sind jedem,
    selbst Kindern bereits,
    bekannt, ja geläufig -
    zu denken, ich hätte es am Hypothalamus!
    Telefonseelsorge
    »Du mußt unters Messer?«
    »Ich bin nicht der erste.«
    »Du Armer, wie schrecklich!«
    »Ach, Unkraut vergeht nicht!«
    »Mir geht das sehr nah, du!«
    »Kopf hoch! Wird schon schiefgehn!«
    So getröstet empfiehlt sich der Anrufer.
    Wieso ich?
    Im Fahrstuhl die Kranken
    sehn nicht sehr gesund aus.
    Mit ihnen geht's abwärts:
    Im Hof darf man rauchen.
    Ich seh sie und hadre:
    Wieso macht man mich auf
    und nicht einen dieser qualmenden Klöpse?
    Eine Nacht im Schlaflabor
    Elektroden aus Gold,
    über sie fließt mein Hirnstrom.
    Ein Mikro am Hals
    überträgt mein Geräusper.
    Vorm Bildschirm die Schwester
    überprüft, wann ich pinkle -
    kein Prinzchen schlief je überwachter!
    Kranke Stationshilfe
    »Frau Tragica«, frag ich
    (und sprech es wie »Tragik«)
    »Wie geht's Ihrem Rücken?«
    »Dem Rücken geht schlecht, Herr!
    Ist völlig kaputt.«
    Sie schüttelt das Bettzeug.
    »Aber mein Nam spricht sich Tragiza.«
    Er studiert einschlägige Anzeigen
    »Plötzlich und unerwartet«
    »Für uns alle unfaßbar«
    »Mitten im Leben stehend«
    »Im Alter von 58 Jahren«
    »Erst 52jährig«
    In jedem Fall: »Viel zu früh« -
    Alles Männer und sterblich.
    Er wird gelobt
    »Alle Achtung!
    Schön, die Vene!«
    Stolz verfolge
    ich den Blick der
    Frau, die lächelnd,
    fast verklärt,
    ja richtig glücklich die Nadel einführt.
    Stress-Echo-Untersuchung
    »Wir werden Ihr Herz jetzt
    chemisch belasten.
    Das geschieht via Vene
    in mehreren Stufen.
    Sagen Sie uns,
    wenn es unangenehm wird« -
    Was, denkst du, heißt hier »wird«?
    29.5.  Eine Woche auf der »hot list«
    Als der Baldy starb,
    sagte der Fricke:
    »Der hatte ja auch schon
    drei Bypässe hinter sich.«
    Irgendwie tröstlich,
    daß ich die drei Bypässe
    immer noch vor mir habe.
    Psalm 61, Vers 3
    »Hienieden auf Erden
    rufe ich zu dir,
    wenn mein Herz in Angst ist« -
    so steht es in Schönschrift
    links neben dem Kühlschrank,
    den ich ungläubig öffne:
    Reklame sogar in der Krankenhausküche!
    31.5.  Sudden Death in Forte dei Marmi
    Ach Wolf, Freund und Werber,
    wie schlagend dein Abgang!
    Am Ziel einfach umfalln
    für immer und ewig:
    Das war derart schlüssig
    wie nur irgendein Auftritt
    einer deiner legendären Kampagnen.
    Tote Freunde
    Alles Gefällte,
    mitten im Leben
    und quer durch die Gegend:
    Kurt Halbritter in Irland
    Alfred Edel in Frankfurt
    Wolf Rogosky in Italien -
    Einzig die Unsicherheit ist sicher.
    Wir Überlebenden
    Sein wir mal ehrlich:
    Mischt sich ins Grausen
    Neid nicht? Ins Trauern
    Dank nicht? Ins Klagen
    Glück nicht? Ins Dunkel
    Licht nicht beim Hören
    der Nachricht vom plötzlichen Herztod?
    1.6.  Samstagmorgen
    Unfaßbare Mauersegler.
    Unerhörte Luftpiraten.
    Einer kühner als der andre
    einer schneller als der andre
    einer schriller als der andre
    einer gesünder als der andre:
    O wer da mitkreischen könnte!
    2.6.  Sonntagmorgenandacht
    »Bis hierher hat uns
    Gott gebracht in
    seiner großen
    Güte« – vielleicht sollte
    mal jemand dem Chor
    im Haus-Sender stecken,
    daß er vor Krankenhausinsassen singt.
    Beim Anblick eines weinenden Kindes im
Krankenhausflur
    »Wer wird denn da weinen?
    Mach doch mal den Mund auf!
    Man tut dir nichts Böses.
    Es geht gleich vorüber!«
    Vorüber geht gar nichts.
    Man tut dir was Böses.
    Halt den Mund gut geschlossen, Kind!
    3.6.  Drogengurus Ende
    Vor laufender Kamera
    sei er gestorben,
    Timothy Leary,
    les ich, und habe
    gekokst und geraucht
    bis zuletzt und getrunken:
    Kein Herzkranker hätte da mithalten können!
    4.6.  Frohe Botschaft
    »Herr Gernhardt! Für Sie!
    Eine herrliche Nachricht!«
    Gesundet?

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