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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Gerettet?
    Im Lotto gewonnen?
    Schwester Theresa
    schwenkt jubelnd ein Schriftstück:
    »Freitag um neun in Bad Nauheim!«
    Nuklearmedizinisches Institut: Fototermin
    Du findest es ätzend,
    so lange zu liegen,
    im Ohr FFH
    und vor Augen die Zimmerdecke?
    Nimm dir ein Beispiel
    am stoischen Gleichmut
    der dich langsam umrundenden Gamma-Kamera.
    Nuklearmedizinisches Institut: Trouble für die MTA
    »Was läuft denn da ab?
    Ich krieg langsam die Krise!
    Das Bild ist gespiegelt -
    ich werde noch mal die
    vier Punkte machen müssen!«
    Und ich wollte grade
    ein wenig Vertrauen in die Gerätemedizin fassen.
    Nuklearmedizinisches Institut:
Zweierlei Bildschmuck
    Auf dem Bildschirm erblühn
    blau-rote Blüten.
    Ein Knopfdruck verwandelt
    sie in grün-gelbe.
    Wie farbig die Strahlung
    in meinem Herzen!
    Wie blaß daneben Edvard Munchs Mohnblumenaquarell!
    Doktor und Dichter
    »Todesangst -
    Sie werden sie spüren.
    Spätestens postoperativ«,
    sagt der Doktor zum Dichter.
    Der speichert die Worte
    in der herzigen Hoffnung,
    das Wort sei auch diesmal schon die Sache.
    Nachtarbeit
    Im Bett der Dichter
    sucht dringend ein Beiwort:
    vokalreich, zweisilbig,
    Synonym für »bedrückend«.
    Schon blickt er zur Nachtglocke,
    da bremst ihn der Umstand,
    daß die Nachtschwester leider Koreanerin ist.
    Woran ich glaube
    Nachtschwester Regina,
    Koreanerin, glaubt an Gott.
    Zu den Tabletten
    legt sie gern Traktate,
    in denen ihr Gott
    Leid nicht stillt, sondern abgreift.
    Da glaub ich doch lieber an Nachtschwester Regina!
    Er hört HR 3
    »Who needs a heart
    when a heart can be broken« -
    Ach, Tina Turner,
    da fragst du noch, Herzchen?
    Um mit sechzig noch mal
    auf Tournee gehn zu können,
    ist so 'n zerbrechliches Ding doch ganz brauchbar!
    Er schämt sich
    Eigentlich peinlich,
    diese Erkrankung.
    Dem Herz eines Bankers
    mag die ja entsprechen.
    Doch das Herz eines Dichters
    schmerzt beim Befund,
    es leide an der »Managerkrankheit«.
    Er ärgert sich beim Lesen eines Handbuchs
    »Aus psychologischer Sicht
    ist die koronare Herzkrankheit
    oft auch Ausdruck
    für vorangegangene
    seelische Engpässe«,
    schreibt Dipl. psych. Petra Heisterkamp,
    der ein intellektueller Bypass guttun würde.
    7.6.  In der Anmeldung der Kerckhoff-Klinik,
Bad Nauheim
    »Ein Einzelzimmer?
    Mal sehn, ob eins frei ist.
    Das hängt immer ab
    von dem, was hier anfällt.
    Den Vortritt haben
    Transplant-Patienten.«
    Und ich bin ja nur ein Bypass.
    Wandschmuck in der Station HC 6
    Was solln diese Drucke?
    An den Wänden Kandinskis!
    Einer verblasener
    als der andre!
    Dieser hirnlose Dreck
    macht mich rasend: »Schwester!
    Mei Nerve! Mei Troppe! Mei Herz!«
    Erkenne die Lage
    Hier kommst du als Prä-Op
    und gehst als Post-Op.
    Hier bist du noch Prä-Op
    oder schon Post-Op.
    Hier lauschen die Prä-Ops
    gebannt den Post-Ops:
    Die haben alle den OP hinter sich.
    Im Atrium der Kerckhoff-Klinik
    Zwei Post-Ops entblößen
    stolz ihre Beine:
    »Ist das eine Narbe?«
    »Und erstmal meine!«
    Sie sind voller Lob
    für das Haus und sich selber:
    »Hier wirst du nur operiert, wenn du topfit bist!«
    Von Labor zu Labor
    Willkommen bei Vampirs!
    Hier blutsaugt nun jede.
    Die sticht in den Finger,
    die zapft aus dem Ohrlapp,
    die piekt in den Arm,
    und die hofft aufs Bein:
    »Da nimmt man doch gern eine Vene raus!«
    Selbstmordkommando
    »Hier«, der Professor
    malt einen Kringel,
    »und hier«, er umkreist
    ein andres Gefäß,
    »hier ticken zwei Zeitbomben.«
    Komplizenhaft nickt ihr
    beiden: Du, Attentäter und Opfer.
    Der Anästhesist stellt sich eine Frage
    »Ich frage mich manchmal,
    ob sensible Menschen
    nicht trotz der Narkose
    den Herzstillstand wahrnehmen
    oder später erinnern,
    Künstler zum Beispiel« -
    »Ich werd mal die Augen offenhalten, Herr Doktor!«
    Fritz, Freund und Augur
    Hörte am Morgen
    den Ruf des Grünspechts.
    Sah am Mittag
    den Flug des Grünspechts.
    Erzählte am Abend
    Freund Fritz vom Grünspecht:
    »Seit alters der Vorbote der Nachtschwester, Robert!«
    9.6.  Vortag: Ganzrasur
    »Ich soll Sie rasieren.«
    Schon fallen die Haare
    der Beine, der Leisten,
    der Arme, der Achseln,
    der Brust. Erleichtert
    konstatierst du: Den Nacken
    rasiert er dir nicht aus, dein Scherge.
    Vortag: Prognosen
    Morgen um die Zeit
    bin ich schon geöffnet.
    Morgen um die Zeit
    bin ich schon verarztet.
    Morgen um die Zeit -
    denke ich da schon
    erleichtert an gestern um die Zeit?
    Vortag: Merkzettel für den OP
    »Bitte nicht mitbringen:
    Geld, Schmuck,

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