Gesammelte Wanderabenteuer
und einer Wanderung hat eine räumliche und zeitliche Komponente. Ab einer gewissen Strecke und einer gewissen Zeit, die man auf den Beinen ist, wandert man eben. Mathematisch ausgedrückt: Wenn die Zeit (h) und die Strecke (a) größer als x und y ist, handelt es sich um eine Wanderung. W = h größer x / a größer y. Alles klar? Einfacher gesagt: Alles über zehn Kilometer oder über zwei Stunden ist für mich eine Wanderung, alles darunter ein Spaziergang. Die konkrete Zeit und Distanz sollte jeder individuell für sich bestimmen, für mich gelten diese Parameter. Dachte ich immer.
Wenn ein Stadtmensch spazieren will, geht er in den Park. Große Parkanlagen, die von Fürsten angelegt wurden wie in Potsdam am Schloss Sanssouci, in Wörlitz, in Ludwigsburg, in Brühl bei Köln oder an Schloss Pillnitz bei Dresden, sind Perlen der Gartenbaukunst. Französische Gartenanlagen bestechen durch ihre streng komponierten Wegeachsen und den symmetrischen Grundriss, während die englischen Gärten die Vielfalt der Natur im Kleinen abbilden. Die großen Stadtparks entstanden häufig durch eine oder mehrere Bundesgartenschauen, wie der Stadtpark in Hannover (1951), der Rheinpark in Köln (1957 und 1971) und Planten und Blomen in Hamburg (1953, 1963 und 1973).
Auf eine besonders frappierende Parkdichte stieß ich bei meinen Recherchen in Stuttgart. Während den Bundesgartenschauen 1961, 1977 und 1993 waren dort insgesamt acht städtische Parkanlagen, von Fürsten und Bürgern im Laufe der vergangenen Jahrhunderte erschaffen, zu einer zusammenhängenden Fläche verschmolzen: dem Grünen U. Das musste ich mir ansehen.
|375| Vom Stuttgarter Hauptbahnhof ging ich zunächst in südlicher Richtung die Fußgängerzone hinauf bis zum Schlossgarten, genauer dem Oberen Schlossgarten. Den hat Friedrich I., König von Württemberg, 1807 angelegt. Württemberg war gerade Königreich geworden, Jahrhunderte vorher waren die Schwaben »nur« Herzogtum gewesen. Grund genug also für den Stuttgarter Friedrich, den König auch städtebaulich heraushängen zu lassen: Es entstanden Schloss und Schlossgarten.
Im Oberen Schlossgarten herrschte an diesem Morgen entspannte Ruhe. Die Parkbesucher lagen auf den Wiesen und sonnten sich auf den Bänken. Ich ging am Schloss, dem Landtag und dem Schauspielhaus vorbei über eine Fußgängerbrücke zum Mittleren Schlossgarten. Wie in einem gepflegten Kurpark fanden sich hier drei Schachbretter mit Großfiguren, der Inbegriff der anspruchsvollen Rentner-im-Park-Beschäftigung.
Direkt daneben gab es zwei Boule-Bahnen. Schwäbischgründlich hingen in einem Baum zwei Besen und ein Regenschirm, um die Bahnen von Laub zu befreien und gegen plötzlich auftretende Unwetter gewappnet zu sein. Seit Jahren boomt Boule in Deutschland. Wurde man früher mit den bunten Boccia-Kugeln am Strand belächelt, wiegen heute Mitmenschen jeden Alters mit Kennermiene die silbernen Kugeln und machen einen auf mediterranen Lebensstil. Mittlerweile gibt es sogar schon Flutlicht für die Boule-Bahnen, wo man nach Feierabend bis tief in die Nacht spielen kann.
Im Mittleren Schlossgarten fehlten auch nicht die steinernen Tischtennisplatten mit Netzen aus Stahl, die ich in meiner Studentenzeit oft als einzige Sportmöglichkeit genutzt habe. Wir hatten damals ja nichts!
|376| An einem Vormittag in Stuttgart bleiben einem die zwei Hauptplagen städtischer Parks erspart: Frisbee-Spieler und Jongleure, die ab dem frühen Abend den anderen Menschen, die eigentlich nur ihre Ruhe haben wollen, auf die Nerven gehen.
Über die sogenannte »Grüne Brücke« erreichte ich den Unteren Schlossgarten, der langgestreckt am Bahndamm liegt und immer zu sehen ist, wenn man Stuttgart mit dem Zug erreicht. Dieser Park war eindeutig im englischen Stil angelegt. Neben dem Weg floss ein kleiner künstlicher Bach, kein geometrisches Muster war zu erkennen. Der Rasen war aber alles andere als englisch kurz getrimmt. Lag es an den |377| leeren Kassen der Stadt Stuttgart, oder wurde unter dem Deckmantel der Ökologie geschludert? Dafür fehlten die Schilder, die das Betreten der Rasenflächen verboten. Wo kein Rasen ist, sondern eher eine Wiese, kann man das Betreten auch nicht verbieten. Dafür sah ich Männer über 60, die mit Unterhemd oder, noch schlimmer, nacktem Oberkörper auf den Bänken saßen. Kann man das nicht verbieten? Genauso wie in einigen Städten, zum Beispiel in Köln, das Füttern von Tauben durch empfindliche Geldstrafen
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