Gesammelte Wanderabenteuer
drastisch zurückgegangen ist, sollte es eine Nackte-Oberkörper-Strafe geben und eine Verhüllungspolizei, die das kontrolliert. Es gibt einfach nichts Unästhetischeres als weiße, nackte Altmännerbäuche. Vor allem wenn man erst aus nächster Nähe erkennt, dass sich unter dem schlaffen Hautlappen überhaupt eine Hose befindet. Das muss doch wirklich nicht sein. Halt, mir fällt noch etwas ein, was auch mit Parkgefängnis nicht unter zwölf Monaten geahndet werden müsste: Das Scheren von Hunden an Grünflächen.
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Geht gar nicht: Biergeschwür in der Stuttgarter Sonne
|377| Ich war eine knappe Stunde gelaufen, und mein Körpermotor lief langsam warm. Ich ging rechts bergan zur Villa Berg. Villa Berg heißt nicht nur das große Gebäude auf einem der Stuttgarter Hügel (Stuttgart ist wie Rom auf Hügeln gebaut und ist eine sogenannte Talkesselstadt), sondern auch der die Villa umgebende Park. Ich durchquerte zunächst einen kleinen japanischen Garten, der anlässlich der Bundesgartenschau 1993 angelegt worden war. Japanische Gärten und Pavillons im fernöstlichen Stil sind neben der französischen und englischen Gartengestaltung die dritte große Mode im Parkdesign. Irgendwie liegen überall viele Steine herum, man geht über stark gebogene Brücken, und die Bonsaibäume wachsen höher, als man sich das vorstellt. In ungefähr 25 Sekunden hatte ich den japanischen Garten durchquert. In |378| dem anschließenden Park wechselten engbepflanzte Blumenbeete mit fast allen Bäumen der Welt, zu deren Bestimmung ich Monate benötigt hätte.
Bei den Bundesgartenschauen wird anscheinend auch, was ich lange nicht wusste, ein knallharter Blumenwettbewerb ausgetragen. Ich las im Internet, dass bei der Buga 2003 in Rostock eine Olympiade der Gärtner stattfand, bei der 2.785 Goldmedaillen, 2.754 Silbermedaillen und 1.599 Bronzemedaillen verteilt wurden. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Lust gehabt, den Medaillenspiegel dieser Gärtnerolympiade genauer zu analysieren.
Nach einer Schleife durch den Villa-Berg-Park ging ich an den Gebäuden des SWR vorbei in den Unteren Schlossgarten zurück, der nahtlos in den Rosensteinpark führte. Dieser Park ist der größte englische Landschaftspark Südwestdeutschlands und unter König Wilhelm I. von Württemberg entstanden. Dieser Wilhelm folgte von 1816 bis 1864 dem König Friedrich nach und schuf weitere großräumige Parkflächen, wie zum Beispiel die Wilhelma. (Ich beschloss, sollte ich jemals eine Parkanlage erbauen, sie in jedem Fall »Manuela« zu nennen.) Die Wilhelma grenzt direkt an den Rosensteinpark und beherbergt den Stuttgarter Zoo. Deshalb muss man hier auch Eintritt bezahlen. Ich lief am Rande des Zauns entlang, sah immerhin kostenlos Eisbären, Zebras, Lamas, Kamele und Rehe von draußen.
Noch vor 150 Jahren hätte ich die Wilhelma nicht betreten dürfen, auch nicht gegen Geld. Nur Adelige und der Hofstaat durften in die königlichen Grünanlagen. Ein Spaziergang war ein eindeutig elitäres Vergnügen. Erst 1880 öffnete man die Wilhelma für die Bürger der Stadt, und die Anlage wurde zum Bürgerpark. Dort konnten die selbstbewussten |379| Stadtbürger ihrem neuen Hobby, dem Flanieren, frönen. Karl Gottlob Schelle schrieb sogar eine Art Gebrauchsanleitung: »Die Spatziergänge oder die Kunst spatzieren zu gehen«. Unverzichtbares Requisit für jeden männlichen Bürger, der das Haus verließ, waren der Hut und der Spazierstock.
Dieser Stock war kein knorriger Wanderstab und erst recht kein Karbonstab moderner Prägung, sondern ein wertvolles Accessoire. In der Burg von Meißen besuchte ich vor Kurzem eine Spazierstockausstellung. Die Stöcke unterschieden sich vor allem durch Knauf und Inhalt. Der Knauf war Statussymbol und sagte viel über den Spazierstockbesitzer aus. Gefertigt aus Silber, Metall, Elfenbein, Holz. Runde Knäufe, Tier- und Menschenköpfe, Rosenknäufe. Stich- und Schusswaffen, Schmuggelware, Schnapsflaschen, Feuerzeuge konnten im Spazierstock versteckt werden. Bei einigen Griffen gab es mechanische Vorrichtungen, die einer Ente den Schnabel öffneten, einen Chinesen spucken und einem Skelett den überdimensionierten Penis anschwellen ließen. Überhaupt, ungefähr 20 Prozent der Knäufe waren nicht jugendfrei: kleine pornographische Darstellungen, der Knauf in Form des weiblichen Geschlechts, umklappbare Knäufe, die erotische Abbildungen verbargen. Dies alles gehörte zur Freizeitbeschäftigung des Bürgers im 19. Jahrhundert, wenn
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