Gesammelte Werke 1
fragte ich ihn nichts dergleichen. Mich interessierte gar nicht, warum er nicht länger Progressor sein wollte. Mich interessierte, warum er auf einmal Konterprogressor werden wollte (wenn man das so sagen kann)?
Seine Antwort hat sich mir eingeprägt. Er empfinde heftige Abneigung gegen die ganze Idee des Progressorentums. Wenn
es nicht sein müsse, wolle er lieber nicht in Details gehen. Er, als Progressor, habe einfach ein negatives Verhältnis zum Progressorentum gewonnen. Und dort (er wies mit dem Daumen über die Schulter) sei ihm ein sehr trivialer Gedanke gekommen: Während er auf dem Kopfsteinpflaster der Plätze in Arkanar herumlaufe und mit dem Degen umherfuchtele, spaziere hier (er wies mit dem Zeigefinger auf seine Füße) irgendein Gauner im modischen Regenbogenmäntelchen und eine Metavisierbüchse geschultert, über die Plätze von Swerdlowsk. »Soviel ich weiß«, sagte Toivo Glumow, »kommt dieser simple Gedanke kaum jemandem in den Sinn, und wenn, dann höchstens in einer blöden humoristischen oder albern romantischen Art und Weise.« Ihm, Toivo, aber, lasse dieser Gedanke keine Ruhe: »Keinem Gott«, sagte er, »darf es erlaubt sein, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen, die Götter haben bei uns auf der Erde nichts verloren, denn ›der Götter Wohltat ist der Wind, er füllt die Segel, doch er bringt auch Sturm‹.« (Später habe ich das Zitat mit viel Mühe gefunden - wie sich herausstellte, ist es von Werbliban.)
Mit bloßem Auge war zu erkennen, dass ein Fanatiker vor mir saß. Leider neigte er, wie jeder Fanatiker, zu extremen Anschauungen. (Man denke an seine Äußerungen über das Progressorentum, von denen noch die Rede sein wird.) Ein Katholik, der in seinem Katholizismus noch den Papst übertrifft - das heißt: mich. Aber Toivo Glumow war bereit zu handeln. Und ohne weitere Gespräche holte ich ihn in meine Abteilung und setzte ihn an das Projekt »Besuch der alten Dame«.
Und er erwies sich als hervorragender Mitarbeiter! Er war engagiert, zeigte Initiative und kannte keine Müdigkeit. Und - eine seltene Eigenschaft in seinem Alter - er ließ sich von Misserfolgen nicht entmutigen. Negative Ergebnisse existierten für ihn nicht. Mehr noch, die negativen Untersuchungsergebnisse freuten ihn genauso, wie die seltenen positiven. Er
schien sich von vorneherein darauf eingestellt zu haben, dass man zu seinen Lebzeiten nichts Konkretes entdecken würde. So gelang es ihm, aus der oft langweiligen Prozedur der Analyse an sich Befriedigung zu schöpfen, auch wenn es sich nur um minimal verdächtige BVs handelte. Sogar meine alten Mitarbeiter - Grischa Serossowin, Sandro Mtbewari, Andrjuscha Kikin und andere - schienen sich in seiner Gegenwart mehr anzustrengen; sie hörten auf zu blödeln, waren weniger ironisch, dafür umso sachlicher. Nicht, dass sie sich ein Beispiel an ihm genommen hätten - nein, dafür war er ihnen zu jung und zu unerfahren -, aber er schien sie mit seiner Ernsthaftigkeit und der Konzentration auf eine Sache anzustecken. Was sie, glaube ich, aber am meisten beeindruckte, war sein tiefer Hass auf den Gegenstand seiner Arbeit; das war bei ihm deutlich zu spüren, während es den anderen vollkommen abging. Einmal erwähnte ich Grischa Serossowin gegenüber zufällig den schmächtigen, dunkelhäutigen Jungen Rivera … Kurz darauf stellte ich fest, dass alle die Geschichte Jack Londons noch einmal hervorgeholt und gelesen hatten.
Wie Rivera hatte auch Toivo keine Freunde. Ihn umgaben aufrichtige und zuverlässige Kollegen, und er selbst war, worum es auch ging, ein aufrichtiger und verlässlicher Partner. Aber Freunde fand er nicht. Ich nehme an, weil es sehr schwierig war, sein Freund zu sein: Er war nie und in keinerlei Hinsicht je mit sich zufrieden, und so kannte er auch seinen Mitmenschen gegenüber kein Pardon. Toivo war so unerbittlich auf ein Ziel konzentriert, wie ich es sonst nur bei bedeutenden Wissenschaftlern und Sportlern bemerkt habe. Was blieb da übrig für die Freundschaft …
Doch - einen Freund hatte er: seine Frau Assja, Anastasia Petrowna Stassowa. Sie war eine reizende junge Frau, klein, lebhaft, scharfzüngig und sehr rasch mit ihrer Meinung oder einem Urteil zur Hand. Bei ihnen zu Hause herrschte daher immer eine Art Kriegszustand, und für Außenstehende war
es sehr kurzweilig, ihre ständig aufflammenden Wortgefechte zu beobachten.
Dieses Schauspiel war umso verwunderlicher, als Toivo Glumow in seiner normalen Umgebung, das heißt im
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