Gesammelte Werke 1
setzen und zu sprechen.
Ohne Umschweife fragte er mich, ob die Untersuchung der Umstände, unter denen Dr. Bromberg zu Tode gekommen war, als abgeschlossen gelte.
Ein wenig verwundert antwortete ich, dass es eigentlich gar keine Untersuchung gegeben hätte. Bromberg sei 150 Jahre alt gewesen; daher könne von besonderen Umständen seines Todes keine Rede sein.
Wo denn dann Dr. Brombergs Notizen zum Thema »Monokosmos« seien?
Ich erklärte, dass es solche Notizen wahrscheinlich nie gegeben hatte. Stattdessen war anzunehmen, dass Dr. Bromberg seinen Brief aus dem Stegreif geschrieben hatte, zumindest war er stets ein glänzender Improvisator gewesen.
Ob das so zu verstehen sei, dass Dr. Brombergs Brief und die Mitteilung über seinen Tod, die Maxim Kammerer an den Präsidenten geschickt hatte, rein zufällig beieinandergelegen hätten?
Ich schaute ihn an: seine schmalen Lippen, die er entschlossen zusammenpresste, die finster vorgereckte Stirn, in die eine weißblonde Haarsträhne gefallen war - und mir war völlig klar, was er jetzt gerne von mir gehört hätte: Ja, Toivo,
mein Junge, wollte er hören, ich denke genauso wie du. Bromberg hat vieles erraten, und die Wanderer haben ihn aus dem Weg geräumt. Die unschätzbar wertvollen Papiere aber haben sie gestohlen. Aber ich dachte natürlich nichts dergleichen, und sagte dem jungen Toivo Glumow auch nichts dergleichen. Warum die Dokumente beieinanderlagen, wusste ich selbst nicht. Es war wohl wirklich ein Zufall, was ich ihm auch erklärte.
Dann fragte er mich, ob denn Brombergs Ideen praktisch ausgearbeitet würden?
Ich sagte ihm, das werde erwogen. Die von den Experten vorgelegten acht Modelle waren alle leicht anfechtbar. Und was die Ideen Brombergs betraf, so waren die Umstände eher ungünstig, dass sie ernst genommen würden.
Dann fasste sich Toivo Glumow ein Herz und fragte mich geradeheraus, ob ich, der Abteilungsleiter Maxim Kammerer, vorhätte, mich mit der Ausarbeitung von Brombergs Ideen zu befassen. Und da bot sich mir nun endlich die Gelegenheit, ihm eine Freude zu machen. Er hörte von mir genau das, was er hatte hören wollen.
»Ja, mein Junge«, sagte ich zu ihm. »Eben dafür habe ich dich in meine Abteilung geholt.«
Er verließ mein Büro beglückt. Natürlich ahnten damals weder er noch ich, dass er just in diesem Moment seinen ersten Schritt zur Großen Offenbarung getan hatte.
Ich habe in der Praxis ein recht gutes psychologisches Gespür. Ohne falsche Bescheidenheit: Wenn ich mit jemandem zu tun habe, kann ich seine seelische Verfassung jederzeit sehr genau nachempfinden. Ich sehe, in welche Richtung sich seine Gedanken bewegen und kann sein Verhalten recht gut vorhersagen. Bäte man mich jedoch zu erklären, wie ich das mache, oder forderte mich gar auf zu zeichnen oder mit Worten darzulegen, welches Bild ich dabei vor mir sehe, befände ich mich in einer schwierigen Lage. Wie jeder Praktiker in der
Psychologie müsste ich auf Analogien aus der Kunstwelt oder der Literatur zurückgreifen. Ich würde mich auf die Helden Shakespeares oder Dostojewskis berufen, auf jene Strogows, Michelangelos oder Johann Surds.
Toivo Glumow also erinnerte mich an den Mexikaner Rivera aus der berühmten Erzählung von Jack London. Zwanzigstes Jahrhundert. Oder sogar neunzehntes, ich entsinne mich nicht genau.
Von Beruf war Toivo Glumow Progressor. Die Spezialisten hatten mir gesagt, aus ihm könne ein Progressor der Spitzenklasse werden, ein Progressoren-Ass. Und dazu hatte er die besten Voraussetzungen: Er verfügte über exzellente Selbstbeherrschung und ein extrem schnelles Reaktionsvermögen, war kühl und unaufgeregt, der geborene Schauspieler und ein Meister der Einfühlung in fremde Rollen. Aber nach gut drei Jahren Progressorentätigkeit nahm Toivo Glumow ohne ersichtlichen Grund seinen Abschied und kehrte auf die Erde zurück. Kaum hatte er die Rekonditionierung durchlaufen, setzte er sich ans GGI und fand heraus, dass die einzige Organisation auf unserem Planeten, die etwas mit seinen neuen Zielen zu tun haben konnte, die KomKon 2 war.
Im Dezember’94 tauchte er bei mir auf - eiskalt und fest entschlossen, wieder und wieder auf dieselben Fragen zu antworten: warum er, derart vielversprechend, vollkommen gesund und in jeder Hinsicht begünstigt, plötzlich seine Arbeit, seine Ausbilder, seine Genossen im Stich ließ, sorgsam ausgearbeitete Pläne zum Scheitern brachte und die in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuschte. Aber natürlich
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