Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
Vom Netzwerk:
hinter der Tür lag Gorbowski im Sterben - dort starb eine ganze Epoche, eine lebende Legende. Der Sternenfahrer. Der Planetenerkunder. Der Entdecker von Zivilisationen. Der Begründer der Großen KomKon und Mitglied des Weltrates. Großväterchen Gorbowski. Ja, das war er, vor allem und gerade das: Großväterchen Gorbowski. Wie aus einem Märchen - immer gut und deswegen immer im Recht. So war seine Epoche gewesen; es siegte immer das Gute. »Von allen möglichen Lösungen wähle immer die gütigste.« Nicht die vielversprechendste, nicht die vernünftigste, nicht die progressivste und natürlich nicht die effektivste - nein, wähle die gütigste! Er hatte diese Worte niemals ausgesprochen und äußerte sich boshaft und gallig zu den Biografen, von denen sie ihm zugeschrieben wurden. Gewiss hatte er sie auch nie gedacht - und doch lag gerade in ihnen das Wesentliche, ja, der Kern seines ganzen Lebens. Die Worte waren natürlich auch kein Rezept. Nicht jedem ist es vergönnt, gütig zu sein; es ist ein ebensolches Talent wie Musikalität oder Hellsehen, nur seltener. Und es war zum Weinen, denn der gütigste von allen Menschen lag im Sterben. Und auf dem Stein würde stehen: »Er war der Gütigste.«
    Ich glaube, das war genau, was Toivo dachte. Und alles, worauf ich baute, womit ich zukünftig rechnete, beruhte auf der Annahme, dass Toivo genau so dachte.
    Es vergingen dreiundvierzig Minuten.
    Dann wurde die Tür unvermittelt aufgerissen. Alles war wie im Märchen. Oder wie im Kino. Gorbowski, unglaublich lang in seinem gestreiften Schlafanzug, hager, fröhlich, trat mit unsicheren kleinen Schritten ins Wohnzimmer und zog
die karierte Decke hinter sich her, die mit einer Franse an einem seiner Knöpfe hängen geblieben war.
    »Aha, du bist noch hier!«, wandte er sich hocherfreut und zufrieden an den sprachlosen Toivo. »Es kommt alles noch, mein Junge! Es kommt noch! Du hast Recht!«
    Und nachdem er diese rätselhaften Worte ausgesprochen hatte, ging er mit leichtem Schwanken zum nächsten Fenster und zog den Vorhang beiseite. Es wurde gleißend hell, wir blinzelten, Gorbowski aber drehte sich um und sah Toivo an, der nahe der Wandleuchte in der Haltung »Stillgestanden« erstarrt war. Ich schaute zu Komow. Der strahlte so unverhohlen, dass seine zuckerweißen Zähne blitzten. Er wirkte zufrieden wie ein Kater, der einen Goldfisch gefangen hat. Oder wie ein Bursche, der gerade in fröhlicher Runde einen guten Witz gemacht hat. Und so war es tatsächlich.
    »Gut, sehr gut!«, rief Gorbowski. »Sogar ausgezeichnet!«
    Den Kopf zur Seite geneigt, kam er auf Toivo zu, musterte ihn von Kopf bis Fuß, trat an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Ich hoffe, du wirst mir verzeihen, dass ich so schroff war, mein Junge«, sagte er. »Aber ich hatte ja auch Recht. Und dass ich so schroff bin - das kommt von der Reizbarkeit. Sterben, sag ich dir, ist eine abscheuliche Sache. Bitte achte nicht darauf.«
    Toivo schwieg. Er verstand natürlich nichts. Komow hatte sich das ausgedacht und arrangiert. Gorbowski wusste genau so viel, wie Komow ihm hatte mitteilen wollen. Ich konnte mir das Gespräch, das bei ihnen im Schlafzimmer stattgefunden hatte, lebhaft vorstellen. Aber Toivo Glumow begriff nichts.
    Ich fasste Toivo am Arm und sagte zu Gorbowski: »Leonid Andrejewitsch, wir gehen jetzt.«
    Gorbowski nickte. »Natürlich, gehen Sie. Danke, Sie haben mir sehr geholfen. Wir sehen uns noch, öfter als einmal.«

    Als wir auf die Vortreppe hinaustraten, sagte Toivo: »Vielleicht erklären Sie mir, was das alles bedeutet?«
    »Du siehst doch: Er hat es sich mit dem Sterben anders überlegt.«
    »Warum?«
    »Dumme Frage, Toivo, entschuldige bitte …«
    Toivo schwieg eine Weile und sagte dann: »Ja, ich bin wirklich ein Dummkopf. Das heißt, ich habe mich noch nie im Leben so dumm gefühlt. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Big Bug.«
    Ich brummte nur »hm«. Schweigend stiegen wir die Treppe zum Landeplatz hinunter. Jemand kam uns ohne Eile entgegen.
    »Gut«, sagte Toivo. »Aber die Arbeit am Projekt soll ich fortsetzen?«
    »Natürlich.«
    »Aber man hat mich ausgelacht!«
    »Im Gegenteil. Du hast einen sehr guten Eindruck gemacht.«
    Toivo murmelte etwas vor sich hin. Den ersten Treppenabsatz erreichten wir zeitgleich mit dem Mann, der uns entgegenkam. Es war der stellvertretende Direktor der Charkower Filiale des IMF, Daniil Alexandrowitsch Logowenko; er war rotwangig und sehr besorgt.
    »Ich grüße dich«, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher