Licht und Dunkelheit
Begegnung
L evarda schloss die Augen und sog tief die würzige Waldluft ein. Sie stand auf einem Felsvorsprung. Unter ihr rauschte der Fluss, der die Ebene in zwei Hälften teilte. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen auf ihr emporgehobenes Gesicht. Hitze und Energie strömten durch ihren Körper. Sie öffnete die Augen und sah die Hügel im Tal in rotes Licht getaucht. Eine tiefe, unbändige Liebe zu diesem Land überzog sie mit einem warmen Schauer.
Ihr Blick schweifte vom Waldrand über die grüne Landschaft, die Waldflächen zwischen den Feldern rund um die Burg Hodlukay, die kleinen Dörfer, die sich an die Hügel schmiegten, wo die Bäume weniger dicht standen. Dünne Rauchwolken stiegen aus den Hütten auf, die Zeit für das Abendessen brach an. Bis in weite Ferne sah Levarda das Auf und Ab der Hügel und Täler, das der Landschaft ihre wilde Lebendigkeit verlieh.
Sie fühlte einen warmen Hauch an ihrem Hals, weiche Nüstern, die ihre Schulter anstupsten. Sie drehte den Kopf, sah in die dunklen Augen ihrer Stute und streichelte die Stirn des Tieres.
»Sita, mein Mädchen, kannst du es nicht erwarten, wieder in den Wäldern von Mintra herumzutollen?«
Wie zur Bestätigung warf das Pferd den Kopf hoch und schnaubte.
»Wir sind beide nicht besonders mit Geduld gesegnet, nicht wahr, meine Schöne? Ich würde jetzt auch lieber mit dir über unbekannte Pfade galoppieren und mir auf deinem Rücken den Wind um die Nase wehen lassen, anstatt zur Burg zurückzukehren.«
Seit Levarda bei ihrer Tante und Lord Blourred auf Burg Hodlukay lebte, hatte sie viel von ihrer Freiheit aufgeben müssen. – Es würde noch mehr werden. Aber sie hatte sich so entschieden.
Sie kraulte die Stute hinter den Ohren, warf einen letzten Blick auf den Asambra, dessen kahle, schneebedeckte Spitze alle Berge überragte, und hinüber zu den Wäldern von Mintra, wo der See Luna verborgen lag. Mit einem schwungvollen Satz federte sie auf den Pferderücken. Reiten war für sie eine natürliche Fortbewegungsart wie das Laufen. Einen Sattel brauchte sie nicht. Sie drückte ihre Schenkel in Sitas Flanken und kehrte in vollem Galopp durch den lichten Baumbestand zur Burg zurück.
Sie nahm den versteckten seitlichen Eingang bei den hinteren Ställen, wo sie besser unbemerkt hineinschlüpfen konnte. Es war die Bedingung von Onkel und Tante gewesen, dass sie ihre Ausflüge vor den Burgbewohnern möglichst verbarg.
Erst vor dem letzten Stall parierte sie ihre Stute durch. Schweißnass blieb Sita schnaubend stehen und Levarda klopfte ihr den Hals.
»Tut mir leid, mein Mädchen, aber anders hätten wir es nicht zeitig geschafft.«
Sie sprang vom Pferd. Dem Stallburschen, der sie mit aufgerissenen Augen ansah, reichte sie die Zügel.
»Führ sie trocken! Dann reib sie mit Stroh ab und gib ihr von dem Futter, das ich heute Morgen gemischt habe.«
Der Bursche starrte sie noch immer an. »Ja, Mylady«, stammelte er, »Ihr werdet von Ihrer Ladyschaft erwartet. Die Abgesandten des hohen Lords sind eingetroffen.«
Levarda fuhr bei dieser Nachricht der Schreck in die Glieder, aber sie zwang sich vor dem Jungen zur Ruhe und nickte nur knapp einen Dank.
Also war es soweit.
Sie vermied jeden Gedanken an die Freiheit, die sie nun vollends hinter sich lassen würde und überquerte den Hof zu einer Tür, die abseits der offiziellen Burgzugänge lag. Sie wurde beobachtet, das spürte sie. Die Intensität der Verbindung ließ die Energie unter ihrer Haut prickeln.
Das war nicht der Stallbursche. Sie spähte hinüber zu den Ställen, in denen die Pferde der Garde untergebracht sein mussten. In der zunehmenden Dämmerung konnte sie nicht viel erkennen, denn die Wände warfen Schatten, die auch sie selbst verbargen. Sie sah die von Pferdehufen aufgewühlte Erde, bemerkte Unruhe im ersten Stall und folgte ohne nachzudenken dem schmalen Weg zu den vorderen Ställen.
»Halt, keinen Schritt weiter!«
Zwei Speere kreuzten ihren Weg. Levarda verharrte. Die beiden Männer waren vor ihr aus dem Nichts aufgetaucht, und geistesgegenwärtig senkte sie die Augen, wie sie es am Hof gelernt hatte. Sie schalt sich selbst. Als würden die Gardesoldaten ihre Tiere ohne Aufsicht lassen!
Bevor sie den Rückzug antreten konnte, baute sich der eine Mann drohend vor ihr auf. »Was sucht Ihr bei den Ställen?«
»Verzeiht, Ihr Herren, ich hörte die Unruhe bei den Pferden und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
»Ihr? – Eine Frau!« Unverständnis klang aus der
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