Gesammelte Werke 1
herein und setzte sich auf den Eisenhocker. Trotz einer Armprothese trug auch dieser Mann Handschellen. Er war hager, sehnig und hatte unnormal dicke, zerbissene und angeschwollene Lippen.
»Ihr Name?«, fragte der Brigadegeneral.
»Welcher?«, erwiderte der Einarmige munter.
Maxim zuckte zusammen; er war sicher gewesen, der Häftling würde schweigen.
»Sie haben mehrere? Dann nennen Sie den jetzigen.«
»Mein jetziger Name ist dreiundsiebzig-dreizehn.«
»Aha … Was haben Sie in Ketschefs Wohnung gemacht?«
»Bin in Ohnmacht gefallen. Zu Ihrer Information: Ich kann das sehr gut. Soll ich’s zeigen?«
»Bemühen Sie sich nicht«, mischte sich der Zivile ein. Er war wütend. »Sie werden Ihr Talent noch brauchen.«
Der Einarmige brach in Gelächter aus, laut, schallend, wie ein Junge. Maxim wurde mit Entsetzen klar, dass das Lachen echt war. Die Männer am Tisch saßen da wie versteinert.
»Massaraksch!«, rief der Gefangene schließlich und wischte sich mit der Schulter die Tränen weg. »Das ist ja eine Drohung! Freilich, sie sind noch ein junger Mann. Nach dem Umsturz habt ihr alle Archive verbrannt und jetzt wisst ihr nicht einmal, wie kleinkariert ihr geworden seid. Es war ein schwerer Fehler, die alten Kader zu liquidieren: Sie hätten euch beigebracht, eure Arbeit gelassen auszuüben. Sie haben zu viele Emotionen. Sie hassen zu sehr. Aber seine Arbeit sollte man möglichst nüchtern erledigen, nach Vorschrift - für Geld. Das beeindruckt Untersuchungsgefangene ungeheuer. Es ist furchtbar, wenn man nicht vom Feind, sondern von einem Beamten gefoltert wird. Sehen Sie sich meinen linken Arm an. Den hat mir der gute alte Geheimdienst noch in der Vorkriegszeit gekappt, in drei Etappen - und jede mit umfangreichem Schriftwechsel. Die Folterknechte hatten eine schwere, undankbare Aufgabe. Sie haben gelangweilt an meinem Arm herumgesägt und dabei über ihre miserablen Gehälter geflucht. Und da bekam ich Angst und habe nur mit großer Willensanstrengung nicht geredet. Aber jetzt … Ich sehe ja, wie Sie mich hassen. Sie mich, und ich Sie. Das ist gut. Aber Sie hassen mich noch nicht mal zwanzig Jahre, ich Sie hingegen schon mehr als dreißig. Ich hab Sie schon gehasst, da sind Sie noch unterm Tisch herumgelaufen und haben die Katzen gequält, junger Mann.«
»Klar«, sagte der Zivilist. »Ein alter Hase. Ein Freund der Arbeiter. Ich dachte, euch hätten sie schon alle erledigt.«
»Darauf brauchen Sie nicht zu hoffen«, entgegnete der Einarmige. »Sie sollten die Welt kennen, in der Sie leben. Sonst bilden Sie sich noch allesamt ein, die alte Geschichte sei vorbei und eine neue begonnen worden. Was für ein Unwissen! Es gibt wirklich nichts, worüber man mit Ihnen reden könnte.«
»Ich glaube, es reicht«, wandte sich der Brigadegeneral an den Zivilen.
Der schrieb schnell etwas auf seine Zeitschrift und gab es dem Brigadegeneral zu lesen. Der wunderte sich, trommelte mit den Fingern gegen sein Kinn und blickte den Zivilisten zweifelnd an. Dieser lächelte. Da zuckte der Brigadegeneral mit den Schultern, dachte kurz nach und fragte den Rittmeister: »Zeuge Tschatschu, wie verhielt sich der Angeklagte bei der Verhaftung?«
»Er wälzte sich auf dem Fußboden«, antwortete der Rittmeister finster.
»Das heißt, Widerstand leistete er nicht … Soso …« Der Brigadegeneral überlegte noch eine Weile, stand dann auf und gab das Urteil bekannt: »Der Angeklagte dreiundsiebzig-dreizehn wird zum Tode verurteilt, ohne konkreten Vollstreckungstermin. Bis zur Hinrichtung verbleibt er in einem Erziehungslager.«
In Rittmeister Tschatschus Gesicht spiegelten sich Verachtung, Unverständnis. Und der Einarmige lachte leise, als man ihn hinausbrachte, und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: »Nein, so was!«
Nun kam Nummer dreiundsiebzig-vierzehn. Es war der Mann, der sich schreiend auf dem Fußboden gewälzt hatte. Er trat zwar herausfordernd auf, hatte aber große Angst. Schon von der Schwelle aus verkündete er, dass er nicht zu antworten gedenke und keinerlei Nachsicht wünsche. Er schwieg tatsächlich und reagierte auf keine einzige Frage, nicht einmal auf die des Zivilisten, ob er schlecht behandelt worden sei. Das Verhör endete damit, dass der Brigadegeneral den Zivilisten ansah und etwas fragte. Der Zivilist nickte. »Ja, zu mir.« Er wirkte sehr zufrieden.
Danach blätterte der Brigadegeneral die verbliebenen Akten durch und sagte: »Kommen Sie, meine Herren, gehen wir essen. Es ist
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