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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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so sehr wie damals erschienen ihr die Männer nur als ein Vorwand, bei dem selbst man sich nicht aufhalten soll, für etwas anderes, das sich in ihnen nur ungenau verkörpern konnte. Und sie sank plötzlich wieder in sich zurück und kauerte in ihrer Finsternis und starrte ihn an und erstaunt empfand sie dieses sich in sich Verschließen zum erstenmal wie eine sinnliche Berührung, der sie sich lüstern vor Bewußtsein hingab, es ganz nahe seinen Augen und doch ihm unerreichbar zu tun. Es sträubte sich etwas in ihr wie ein weiches knisterndes Katzenfell gegen ihn, und als sähe sie einer kleinen, glitzernden Kugel nach, ließ sie ihr Nein aus ihrem Versteck heraus und vor seine Füße rollen ... Und dann schrie sie, als er es zertreten wollte.
    Und da nun, jetzt, als der Abschied schon unwiderruflich zwischen ihnen aufgerichtet stand und mit zwischen ihnen den letzten Weg ging, war es geschehen, daß plötzlich, mit voller Bestimmtheit, in Veronika auch diese verlorenste Erinnerung emporsprang. Sie fühlte nur, daß sie es sei, und wußte nicht woran und war ein wenig enttäuscht, weil sie an nichts ihres Inhalts erkannte, warum sie es sei; und fand sich nur wie in einer erlösenden Kühle. Sie fühlte, daß sie schon einmal in ihrem Leben so wie jetzt vor Johannes erschrocken war, und verstand nicht, wie es zusammenhing, daß ihr das so viel bedeutet haben konnte, und was es in Zukunft nun sollte, – aber es war ihr mit einemmal, als stünde sie wieder auf ihrem Wege, dort, auf dem gleichen Punkt, wo sie ihn einst verlor, und sie empfand, daß in diesem Augenblicke das wirkliche Erlebnis, das Erlebnis an dem wirklichen Johannes, seinen Scheitelpunkt überschritten hatte und beendigt war. Sie hatte in diesem Augenblick ein Gefühl wie ein Auseinanderfallen; obwohl sie ganz nahe beieinander standen, war ihr so schräg, als sänken und sänken sie voneinander weg; Veronika sah nach den Bäumen seitlich ihres Wegs, sie standen gerader und aufrechter, als ihr natürlich geschienen hätte. Und da glaubte sie, ihr Nein, das sie vordem nur verwirrt und aus Ahnung gesprochen hatte, erst vollends zu fühlen, und begriff, daß er seinethalben jetzt fortfuhr und es doch nicht wollte. Und es wurde ihr eine Weile lang dabei so tief und schwer, wie zwei Körper nebeneinander liegen, nur mehr so eins und das andre, getrennt und traurig und jeder nur das, was er für sich ist, weil es ja doch beinahe Hingabe geworden wäre, was sie fühlte; und es kam irgendetwas über sie, das sie klein und schwach und zu nichts machte wie ein Hündchen, das klagend auf drei Beinen hinkt, oder wie ein zerschlissenes Fähnchen, das hinter einem Lufthauch daherbettelt, so ganz löste es sie auf und es war eine Sehnsucht in ihr, ihn zu halten, wie eine weiche wunde Schnecke, die mit leisem Zucken nach einer zweiten sucht, an deren Leib es sie verlangt, aufgebrochen und sterbend zu kleben.
    Aber da sah sie ihn an und wußte kaum, was sie dachte, und ahnte, daß das, was sie einzig davon wußte, vielleicht – diese plötzliche Erinnerung, die blank und allein in ihr lag – überhaupt nichts war, das man aus sich selbst begreifen konnte, sondern nur dadurch etwas, daß es – irgendeinmal durch eine große Angst an einer Vollendung gehindert – seither verhärtet und verschlossen sich in ihr verbarg und einem andern, das es hätte werden können, den Weg versperrte und aus ihr herausfallen mußte wie ein fremder Körper. Denn schon begann ihr Gefühl für Johannes zu sinken und abzuströmen, – in breiter, befreiter Flut brach etwas lange wie tot und machtlos darunter Gefangnes aus ihr heraus und riß es mit sich, – und an seiner Stelle wölbte sich weit aus der in ihr bloßgelegten Ferne ein Leuchten, etwas pfeilerlos Steigendes, etwas endlos Gehobenes und wie durch Traumnetze zusammenhangverloren Glitzerndes empor.
    Und das Gespräch, das sie außen noch führten, wurde kurz und sickernd, und während sie sich noch damit abmühten, fühlte Veronika, wie es schon zwischen den Worten zu etwas anderem wurde, und wußte endgültig, daß er fortreisen mußte, und brach es ab. Es erschien ihr alles, was sie noch sagten und versuchten, umsonst getan, da es entschieden war, daß er weggehen und nicht mehr wiederkehren sollte, – und weil sie empfand, daß sie gar nicht mehr wollte, was sie sonst vielleicht doch noch getan hätte, gewann das davon Übriggebliebene mit einer jähen Wendung einen starren, unverständlichen Ausdruck; sie wußte kaum einen

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