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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Gespräch, das sich träg hingezogen hatte, wie man etwas zwischen den Fingern bewegt, an das man längst nicht mehr denkt, brach ab. Veronika war erschrocken; sie merkte erst nachträglich, wie eigentümlich sie erschrocken war, an der Röte, die ihr jetzt ins Gesicht stieg, und an einer Erinnerung, die mit einemmal, über viele Jahre hinweg, wieder da war, unvorbereitet, heiß und lebendig. Es waren in der letzten Zeit allerdings so viele Erinnerungen gekommen und es war ihr, als ob sie diesen Pfiff schon in der Nacht vorher gehört hätte und in der Nacht vor vorher und in einer Nacht vor vierzehn Tagen. Und ihr war auch, als ob sie sich irgendwann früher schon mit dieser Berührung gequält hätte, vielleicht im Schlafe. Sie fielen ihr ein in der letzten Zeit, diese sonderbaren Erinnerungen, immer wieder, sie fielen links und rechts von etwas in ihr ein, davor und dahinter, wie nach einem Ziel ziehende Schwärme, ihre ganze Kindheit, diesmal aber wußte sie mit einer fast unnatürlichen Gewißheit, daß es das Richtige selbst war. Es war eine Erinnerung, die sie mit einemmal erkannte, über viele Jahre hinweg, endlich, unzusammenhängend, heiß und noch lebendig.
    Sie liebte damals die Haare eines großen Bernhardinerhundes, besonders die dort vorne, wo die breiten Brustmuskeln bei jedem Schritt über den gewölbten Knochen wie zwei Hügel hervortraten; es waren ihrer dort so übermächtig viele und so goldig braune, und das war so sehr wie unabsehbarer Reichtum und ruhig Grenzenloses, daß sich die Augen verwirrten, wenn man sie auch ganz ruhig nur auf einen Fleck gerichtet ließ. Und während sie sonst nichts empfand als ein einziges, ungegliedertes, starkes Gefühl des Gernehabens, jene zärtliche Kameradschaft eines vierzehnjährigen Mädchens und wie für eine Sache, war es hier manchmal fast wie in einer Landschaft. Wenn man geht und da ist der Wald und die Wiese und da der Berg und das Feld und in dieser großen Ordnung jedes nur wie ein Steinchen so einfach und fügsam, aber furchtbar zusammengesetzt ein jedes, wenn man es für sich anschaut, und verhalten lebendig, so daß man plötzlich in der Bewunderung Angst bekommt, wie vor einem Tier, das die Beine anzieht und reglos liegt und lauert.
    Aber einmal, als sie so neben ihrem Hunde lag, war ihr eingefallen, so müßten die Riesen sein; mit Berg und Tal und Wäldern von Haaren auf der Brust und Singvögeln, die in den Haaren schaukelten, und kleinen Läusen, die auf den Singvögeln saßen, und – weiter wußte sie es nicht, aber es brauchte noch kein Ende zu haben und wieder war alles so hintereinandergefügt und eins in das andere gepreßt, daß es nur wie eingeschüchtert von so viel Gewalt und Ordnung stillzuhalten schien. Und sie dachte heimlich, wenn sie zornig würden, müßte das plötzlich in sein tausendfältiges Leben schreiend auseinanderfahren und einen mit furchtbarer Fülle überschütten, und wenn sie dann in Liebe über einen herfielen, müßte es wie von Bergen stampfen und mit Bäumen rauschen und kleine wehende Haare müßten einem am Leibe gewachsen sein und kribbelndes Ungeziefer und eine in Seligkeit über etwas ganz Unsagbares kreischende Stimme und ihr Atem müßte das alles in einen Schwarm von Tieren einhüllen und an sich reißen.
    Und als sie da bemerkte, daß es ihre kleinen spitzen Brüste geradeso hob und senkte, wie dieser zottige Atem neben ihr auf und nieder ging, wollte sie es plötzlich nicht haben und hielt an sich, wie wenn sie sonst etwas heraufbeschwören könnte. Aber als sie sich nicht mehr dagegen zu stemmen vermochte und ihr Atem doch wieder so zu gehen begann, wie wenn ihn dieses andere Leben langsam an sich zöge, schloß sie die Augen und begann wieder an die Riesen zu denken, in einem unruhigen Ziehen von Bildern, aber viel näher jetzt und warm wie von niedrig dahinstreichenden Wolken.
    Als sie dann lange danach die Augen wieder öffnete, war alles wie früher, nur der Hund stand jetzt neben ihr und sah sie an. Und da bemerkte sie mit einemmal, daß sich lautlos etwas Spitzes, Rotes, lustweh Gekrümmtes aus seinem meerschaumgelben Vlies hervorgeschoben hatte, und in dem Augenblick, wo sie sich jetzt aufrichten wollte, spürte sie die lauwarme, zuckende Berührung seiner Zunge in ihrem Gesicht. Und da war sie so eigentümlich gelähmt gewesen, wie ... wie wenn sie selbst auch ein Tier wäre, und trotz der abscheulichen Angst, die sie empfand, duckte sich etwas ganz heiß in ihr zusammen, als ob jetzt und

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