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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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ob man es sehen könnte. Und nur ganz, ganz vergessen dachte sie schon an jene größere Sehnsucht, die sich noch erfüllen sollte, aber das war in diesem Augenblick bloß so leise traurig, wie wenn weit weg die Glocken läuten; und sie standen nebeneinander und hoben sich groß und ernst – wie zwei riesige Tiere mit gebogenen Rücken in den Abendhimmel.
    Die Sonne war untergegangen; Veronika ging nachdenklich und allein den Weg zurück; zwischen Wiesen und Feldern. Wie aus einer zerbrochen am Boden liegenden Hülle war ihr aus diesem Abschied ein Gefühl von sich emporgestiegen; es war plötzlich so fest, daß sie sich wie ein Messer in dem Leben dieses andern Menschen fühlte. Es war alles klar gegliedert, er ging und würde sich töten, sie prüfte es nicht, es war etwas so Wuchtendes wie ein dunkler, schwerer Gegenstand auf der Erde liegt. Es erschien ihr als etwas so Unwiderrufliches wie ein Schnitt durch die Zeit, vor dem alles Frühere unverrückbar erstarrt war, es sprang dieser Tag mit einem plötzlichen Blinken wie ein Schwert aus allen anderen heraus, ja ihr war, als sähe sie körperlich in der Luft, wie die Beziehung ihrer Seele zu dieser andern Seele zu etwas Letztem, Unabänderlichem geworden war, das wie ein Aststumpf in die Ewigkeit ragte. Sie fühlte zuweilen Zärtlichkeit für Johannes, dem sie dies dankte, dann wieder nichts, nur ihr Schreiten. Eine in die Einsamkeit drängende Bestimmtheit ohne anderes Ziel trieb sie; zwischen Wiesen und Feldern. Die Welt wurde abendlich klein. Und allmählich begann eine seltsame Lust Veronika zu tragen wie eine leichte, grausame Luft, die sie mit bebendem Wittern einatmete, die sie erfüllte und hob und in der ihre Gebärden ausfuhren, in die Ferne griffen, in der sich ihre Schritte mit einem leisen Druck vom Boden lösten und über Wälder hoben.
    Es war ihr fast übel vor Leichtigkeit und Glück. Diese Spannung wich erst von ihr, als sie die Hand auf das Tor ihres Hauses legte. Es war ein kleines, rundes, festgefügtes Tor; als sie es schloß, legte es sich undurchdringlich vor und sie stand im Dunkel wie in einem stillen, unterirdischen Wasser. Sie schritt langsam vorwärts und fühlte dabei, ohne sie zu berühren, die Nähe der kühlen sie umschließenden Wände; es war ein sonderbar heimliches Gefühl, sie wußte, daß sie bei sich war.
    Dann tat sie still, was sie zu tun hatte, und der Tag lief zu Ende wie alle andern. Von Zeit zu Zeit tauchte Johannes zwischen ihren Vorstellungen auf, dann sah sie nach der Uhr und wußte, wo er sein mußte. Einmal aber strengte sie sich an, lange nicht an ihn zu denken, und als sie es das nächstemal tat, mußte der Zug schon durch die Nacht der Bergtäler nach Süden rollen und unbekannte Gegenden schlossen schwarz ihr Bewußtsein.
    Sie legte sich zu Bett und schlief rasch ein. Aber sie schlief leicht und ungeduldig wie jemand, dem am nächsten Tag etwas Ungewöhnliches bevorsteht. Es war unter ihren Augenlidern eine beständige Helligkeit; gegen den Morgen zu wurde sie noch lichter und schien sich zu dehnen, sie wurde unsagbar weit: als Veronika aufwachte, wußte sie: das Meer.
    Jetzt mußte er es schon vor sich sehen und hatte nichts Notwendiges mehr zu tun als seinen Entschluß auszuführen. Er würde wohl hinausrudern und schießen. Aber Veronika wußte nicht wann. Sie begann zu mutmaßen und Gründe gegeneinanderzustellen. Wird er gleich von der Bahn ins Boot? Wird er auf den Abend warten? Wenn das Meer ganz ruhig daliegt und wie mit großen Augen einen ansieht? Sie ging den ganzen Tag in einer Unruhe dahin, wie wenn beständig feine Nadeln gegen ihre Haut schlügen. Zuweilen tauchte wieder irgendwo – aus einem goldenen Rahmen, der an der Wand aufleuchtete, aus dem Dunkel des Treppenhauses oder aus dem weißen Leinen, an dem sie stickte, – Johannes’ Gesicht auf. Bleich und mit karmoisinroten Lippen, ... verzerrt und aufgedunsen vom Wasser, ... oder bloß wie eine schwarze Locke über einer eingefallenen Stirn. Hie und da war sie dann wie von treibenden Bruchstücken einer plötzlich zurückflutenden Zärtlichkeit erfüllt. Und als es Abend wurde, wußte sie, daß es geschehen sein müsse.
    Fern war eine Ahnung in ihr, daß alles sinnlos sei, diese Erwartung und dieses Gebaren, etwas ganz Ungewisses wie wirklich zu behandeln. Zuweilen sprang hastig ein Gedanke durch sie, Johannes wäre nicht tot, und riß wie an einer weichen Decke und ein solches Stück Wirklichkeit sprang auf und sank wieder zusammen. Sie

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