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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Traurigkeit ... wie von Fieber und Einbildungen bemalte Wände, zwischen denen die Worte der Gesunden nicht tönen und sinnlos zu Boden fallen, wie Teppiche, auf denen zu schreiten, ihre Gebärden zu schwer sind; eine ganz dünne, hallende Welt, durch die sie mit ihm schritt, und allem, was sie tat, folgte darin eine Stille und alles, was sie dachte, glitt ohne Ende, wie Flüstern in verschlungenen Gängen.
    Und als es ganz klar und bleich und Tag geworden war, kam der Brief, ein Brief, wie er kommen mußte, Veronika begriff sofort: wie er kommen mußte. Es pochte am Haus und riß durch die Stille, wie ein Felsblock eine dünne Schneedecke zerschlägt; durch das geöffnete Tor bliesen Wind und Helligkeit herein. In dem Brief stand, was bist du, ich habe mich nicht getötet? Ich bin wie einer, der auf die Straße hinaus fand. Ich bin heraußen und kann nicht zurück. Das Brot, das ich esse, das schwarz-braune Boot, das am Strande liegt und mich hinaustragen sollte, das Leisere, Undeutlichere, Füllwarme, nicht vorschnell Verfestigte, alles Lärmende, Lebendige ringsum hält mich fest. Wir werden darüber sprechen. Es ist alles heraußen bloß einfach und ohne Zusammenhang und übereinandergestreut wie ein Haufen Schutt, aber ich bin davon wie ein Pfahl gefaßt und verrammt und wieder verwurzelt worden ...
    Es stand noch anderes in dem Brief, aber sie sah nur dieses eine: ich fand auf die Straße. Es enthielt dennoch, obwohl es kommen mußte, kaum angedeutet, etwas Höhnisches in diesem rücksichtslos rettenden Sprung von ihr fort. Es war nichts, gar nichts, nur wie ein Kühlwerden am Morgen und einer fängt laut zu sprechen an, weil der Tag kommt. Es war endgültig alles um solch einen geschehn, der nun ernüchtert zusah. Von diesem Augenblick an, durch lange Zeit, dachte Veronika nichts, noch empfand sie etwas; nur eine ungeheure, von keiner Welle durchbrochene Stille glänzte um sie, bleich und leblos wie Teiche, die stumm im Frühlicht liegen.
    Als sie dann aufwachte und von neuem nachzudenken begann, geschah es wieder wie unter einem schweren Mantel, der sie hinderte, sich zu bewegen, und wie Hände unter einer Hülle, die sie nicht abwerfen können, sinnlos werden, verwirrten sich ihre Gedanken. Sie fand nicht in die einfache Wirklichkeit. Daß er sich nicht erschossen hatte, war nicht die Tatsache, daß er lebte, sondern es war etwas in ihrem Dasein, ein Verstummen, ein wieder Sinken, es verstummte etwas in ihr und sank wieder in jene murmelnde Vielstimmigkeit zurück, aus der es sich kaum herausgehoben hatte. Sie hörte sie mit einemmal wieder von allen Seiten. Es war jener enge Gang, in dem sie einst lief und dann kroch und dann kam jenes Weiterwerden, jenes leise Heben und Sichaufrichten und nun schloß es sich wieder. Ihr war trotz der Stille, als ob Menschen um sie stünden und beständig leise sprächen. Sie verstand nicht, was sie sich sagten. Es war wunderbar heimlich, nicht zu verstehn, was sie sich sagten. Ihre Sinne waren in ganz dünne Flächen gespannt und diese Stimmen schlugen raschelnd daran wie die Zweige eines wirren Gestrüpps.
    Fremde Gesichter tauchten auf. Es waren lauter fremde Gesichter, die Tante, Freundinnen, Bekannte, Demeter, Johannes, sie wußte es wohl, aber doch blieben es fremde Gesichter. Sie bekam plötzlich Angst vor ihnen, wie jemand, der fürchtet, streng behandelt zu werden. Sie mühte sich, an Johannes zu denken, aber sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie er vor wenigen Stunden aussah, er verfloß ihr mit den andern; es fiel ihr ein, daß er von ihr weggegangen war, ganz fern, wie unter eine Menge; es war ihr, als ob irgendwo da heraus seine Augen listig und versteckt auf sie schauen müßten. Sie spannte sich ganz klein davor zusammen und wollte sich schließen, aber sie empfand sich nur mehr mit einer leise zerfließenden Deutlichkeit.
    Und allmählich verlor sie überhaupt das Gefühl, etwas anderes gewesen zu sein. Sie konnte sich kaum mehr von den andern unterscheiden und alle diese Gesichter waren kaum mehr voneinander zu unterscheiden, sie tauchten auf und verschwanden ineinander, sie waren ihr eklig wie ungekämmtes Haar und doch verstrickte sie sich in ihnen, sie antwortete ihnen, die sie nicht verstand, sie hatte nur das eine Bedürfnis, etwas zu tun, es war eine Unruhe in ihr, die unter ihrer Haut wie Tausende kleiner Tiere herauswollte, und immer neu tauchten die alten Gesichter auf, das ganze Haus war voll dieser Unruhe.
    Sie sprang auf und tat ein paar

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