Gesammelte Werke
erschienen war, und auf der anderen Seite Ulrichs ging ein. ebenso hoher Herr, Ältester einer dreigliedrigen Abordnung des Herrenhauses; dahinter kamen die zwei anderen Standesherrn, dann Rektor und Senat der Universität, und erst hinter diesen, aber vor dem unabsehbaren Strom der Zylinder mannigfaltiger, an Würde langsam von vorn nach hinten verlierender öffentlicher Personen, schritt Agathe, von schwarzen Frauen eingesäumt und den Punkt bezeichnend, wo zwischen den Spitzen der Behörden das zugemessene private Leid seinen Platz hatte; denn die regellose Teilnahme der «nichts als mit-Fühlenden» begann erst hinter den in amtlicher Eigenschaft Erschienenen, und es war sogar möglich, daß sie aus nichts als dem alten Dienerehepaar bestand, das einsam hinter dem Zuge dahinschritt. So war dieser vornehmlich ein Zug von Männern, und zu Seiten Agathes schritt nicht Ulrich, sondern ihr Ehemann Professor Hagauer, dessen rotapfeliges Gesicht mit der borstigen Raupe über dem Mund ihr inzwischen fremd geworden war und vor dem dichten, schwarzen Schleier, der ihr gestattete, ihn verborgen zu beobachten, dunkelblau aussah. Ulrich selbst, der in den vielen vorangegangenen Stunden immer mit seiner Schwester beisammen gewesen war, hatte mit einemmal das Gefühl, daß die uralte Begräbnisordnung, die noch aus der Gründungszeit der Universität stammte, sie ihm entrissen habe, und entbehrte sie, ohne daß er sich auch nur nach ihr umwenden durfte; er dachte sich einen Scherz aus, mit dem er sie begrüßen werde, wenn sie sich wiedersähen, aber seine Gedanken wurden durch den Statthalter ihrer Freiheit beraubt, der schweigend und herrscherhaft an seiner Seite schritt, aber doch zeitweilig ein leises Wort an ihn richtete, das er auffangen mußte, wie ihm denn überhaupt von allen diesen Exzellenzen bis zu den Magnifizenzen und Spektabilitäten Aufmerksamkeit erwiesen worden war, denn er galt als der Schatten des Grafen Leinsdorf und das Mißtrauen, das man dessen vaterländischer Aktion allmählich überall entgegenbrachte, verlieh ihm Ansehen.
An den Straßenrändern und hinter den Fenstern hatten sich überdies Neugierige gestaut, und obgleich er wußte, daß in einer Stunde, einfach wie bei einer Theateraufführung, alles vorbei sein werde, fühlte er doch an diesem Tag die Vorgänge besonders lebhaft mit, und die allgemeine Teilnahme an seinem Schicksal lag ihm wie ein schwer verbrämter Mantel auf den Schultern. Zum erstenmal empfand er die gerade Haltung der Überlieferung. Die dem Zug wie eine Welle voranlaufende Ergriffenheit der Menschenmasse an den Rändern, welche plauderte, verstummte und wieder aufatmete, der Zauber der Geistlichkeit, das dumpfe aufs Holz Poltern der Erdschollen, dessen Nahen man ahnte, das gestaute Schweigen des Zugs, das griff an die Wirbel des Leibs wie in ein urhaftes Musikinstrument, und Ulrich empfand mit Staunen ein unbeschreibliches Wiedertönen in sich, in dessen Schwingung sich sein Körper aufrichtete, als würde er von der Getragenheit, die ihn umgab, ganz wirklich getragen. Und wie er nun einmal an diesem Tag den anderen näher war, stellte er sich gleich dazu vor, wie anders das noch wäre, wenn er in diesem Augenblick, dem ursprünglichen Sinn des halbvergessen von der Gegenwart übernommenen Gepränges gemäß, wirklich als der Erbe einer großen Macht einherschritte. Das Traurige verschwand bei diesem Gedanken, und der Tod wurde aus einer schrecklichen Privatangelegenheit zu einem Übergang, der sich in öffentlicher Feier vollzog; nicht mehr klaffte jenes grauenvoll angestarrte Loch, das jeder Mensch, an dessen Dasein man gewöhnt ist, in den ersten Tagen nach seinem Verschwinden hinterläßt, sondern schon schritt der Nachfolger an Stelle des Verstorbenen, die Menge atmete ihm zu, das Totenfest war zugleich eine Mannbarkeitsfeier für den, der nun das Schwert übernahm und zum erstenmal ohne Vordermann und allein seinem eigenen Ende zuschritt. «Ich hätte» dachte Ulrich unwillkürlich «meinem Vater die Augen schließen müssen! Nicht seinet- oder meinetwegen, sondern –» er wußte diesen Gedanken nicht zu Ende zu führen; aber daß weder er seinen Vater gemocht hatte, noch dieser ihn, kam ihm angesichts dieser Ordnung als eine kleinliche Überschätzung der persönlichen Wichtigkeit vor, und überhaupt schmeckte vor dem Tode das persönliche Denken schal nach Nichtssagendheit, während alles, was an dem Augenblick bedeutend war, von dem Riesenleib auszugehen schien,
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