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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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habe!
    (Ich habe Schlaffreunde.)
    Weißt du überhaupt noch, wer Moosbrugger ist? Ich muß dir etwas erzählen:
    Auf einmal war sein Name wieder da.
    Die drei musikalischen Silben.
    Aber Musik ist Schwindel. Ich meine, wenn sie allein ist. Musik allein ist Ästhetentum oder so etwas; Lebensschwäche. Wenn sich Musik aber mit dem Gesicht verbindet, dann schwanken die Mauern, und aus dem Grab der Gegenwart steht das Leben der Kommenden auf. Ich habe die drei musikalischen Silben nicht bloß gehört, ich habe sie auch gesehen. Sie sind in der Erinnerung aufgetaucht . Auf einmal weißt du: da, wo sie auftauchen, ist noch etwas anderes! Ich habe ja einmal deinem Grafen einen Brief über Moosbrugger geschrieben: wie man so etwas vergessen kann! Ich hör-sehe nun eine Welt, in der die Dinge stehen und die Menschen gehen, so wie du sie immer kennst, aber tönend-sichtbar . Das kann ich nicht deutlich beschreiben, denn es sind davon erst drei Silben aufgetaucht. Verstehst du das? Es ist vielleicht noch zu früh, davon zu reden.
    Ich habe zu Walter gesagt: ‹Ich will Moosbrugger kennenlernen!›
    Walter hat gefragt: ‹Wer ist denn Moosbrugger?›
    Ich habe geantwortet: ‹Ulos Freund, der Mörder.›
    Wir haben Zeitung gelesen; es war morgens, und Walter sollte schon ins Büro gehn. Erinnerst du dich, daß wir einmal alle drei Zeitung gelesen haben? (Du hast ein schwaches Gedächtnis , du wirst dich nicht erinnern!) Ich hatte also den Teil der Zeitung, den mir Walter gegeben hatte, auseinandergefaltet – ein Arm links, ein Arm rechts: plötzlich fühle ich hartes Holz, bin ans Kreuz genagelt. Ich frage Walter: ‹Ist nicht erst gestern etwas von einem Eisenbahnunglück bei Budweis in der Zeitung gestanden?‹
    ‹Ja› antwortete er. ‹Warum fragst du? Ein kleines Unglück, ein Toter oder zwei.›
    Nach einer Weile sagte ich: ‹Weil in Amerika auch ein Unglück geschehen ist. Wo liegt Pennsylvanien?›
    Er weiß es nicht. ‹In Amerika› sagt er.
    Ich sage: ‹Nie lassen die Führer ihre Lokomotiven mit Absicht zusammenstoßen!› Er sieht mich an. Es war zu erkennen, daß er mich nicht versteht. ‹Natürlich nicht› meint er.
    Ich frage, wann Siegmund zu uns kommt. Er weiß es nicht sicher.
    Und nun siehst du: Natürlich lassen die Maschinenführer nicht ihre Züge aus böser Absicht zusammenstoßen; aber warum tun sie es sonst? Ich werde es dir sagen: In dem ungeheuren Netz von Schienen, Weichen und Signalen, das sich um den ganzen Erdball zieht, verlieren wir alle die Kraft des Gewissens. Denn wenn wir die Stärke hätten, uns noch einmal zu prüfen und noch einmal unsere Aufgabe zu beachten, so würden wir immer das Nötige tun und das Unglück vermeiden. Das Unglück ist unser Stehenbleiben beim vorletzten Schritt!
    Natürlich darf man nicht erwarten, daß das Walter gleich klar werde. Ich glaube, daß ich diese ungeheure Kraft des Gewissens erreichen kann, und ich habe die Augen schließen müssen, damit Walter nicht den Blitz darin bemerkt.
    Aus allen diesen Gründen halte ich es für meine Pflicht, Moosbrugger kennen zu lernen.
    Du weißt, mein Bruder Siegmund ist Arzt. Er wird mir helfen.
    Ich habe auf ihn gewartet.
    Am Sonntag ist er zu uns gekommen.
    Wenn er jemand vorgestellt wird, sagt er: ‹Aber ich bin weder –, noch musikalisch.› So ist sein Witz. Denn weil er Siegmund heißt, will er weder für einen Juden noch für musikalisch gehalten werden. Er ist im Wagner-Rausch gezeugt worden. Es ist unmöglich, ihn zu einer vernünftigen Antwort zu bewegen. Solange ich auf ihn einredete, hat er nur Unsinn gebrummt. Er hat mit einem Stein nach einem Vogel geworfen und mit dem Stock durch den Schnee gestochert. Auch wollte er einen Weg ausschaufeln; er kommt oft zu uns arbeiten, wie er sagt, weil er nicht gerne zu Hause ist bei seiner Frau und den Kindern. Es ist zu verwundern, daß du ihn nie getroffen hast. ‹Ihr habt die Fleurs du mal und einen Gemüsegarten!› sagt er. Ich habe ihn an den Ohren gezogen und in die Rippen gepufft, ohne daß es geholfen hat.
    Dann sind wir ins Haus zu Walter, der natürlich am Klavier gesessen ist, und Siegmund hat den Rock unter den Arm geklemmt und die Hände hoch hinauf voll Schmutz gehabt.
    ‹Siegmund,› habe ich zu ihm vor Walter gesagt ‹wann verstehst du ein Musikstück?!›
    Er hat gegrinst und zur Antwort gegeben: ‹Gar niemals.›
    ‹Wenn du es selbst innerlich machst › habe ich gesagt. ‹Wann verstehst du einen Menschen? Du mußt ihn mitmachen.›

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