Gesammelte Werke
zuschauende Lächeln seiner eigenen Mutter, voll Mitleid und Geringschätzung für ihn. Dieses Lächeln war wirklich. Es sagte: Gott, jeder Mensch weiß, dieses Geschäft ...?! Aber obgleich Tonka noch Jungfrau gewesen war, als er sie kennen lernte, war dieses Lächeln, heimtückisch versteckt oder verkleidet, auch in vielen quälenden Träumen aufgetaucht. Vielleicht hatte es sich nie als ein einzelnes Lächeln ereignet;
49 das war selbst jetzt nicht sicher. Und dann gibt es auch Brautnächte, wo man nicht ganz sicher sein kann, sozusagen physiologische Zweideutigkeiten, wo selbst die Natur nicht ganz klar Aufschluß gibt, und im gleichen Augenblick, wo das wieder vor der Erinnerung stand, wußte er: auch der Himmel war gegen Tonka.
II
Es war leichtsinnig von ihm gewesen, Tonka als Pflegerin und Gesellschaft zu seiner Großmutter zu bringen. Er war noch sehr jung und hatte eine kleine List eingefädelt; die Schwägerin seiner Mutter kannte Tonkas Tante, die in «gute Häuser» weißnähen kam, und er hatte gestiftet, daß man sie frug, ob sie nicht ein junges Mädchen wüßte, und so. Das junge Mädchen sollte bei der Großmutter bleiben, deren Erlösung man in zwei bis drei Jahren erwartete, und außer dem Lohn dann im Vermächtnis bedacht werden.
Aber inzwischen waren nun einige kleine Erlebnisse einander gefolgt. Zum Beispiel, er ging einmal mit ihr, etwas zu besorgen; auf der Straße spielten Kinder, und sie sahen beide plötzlich einem heulenden kleinen Mädchen in ein Gesicht, das sich wie ein Wurm nach allen Seiten krümmte und prall von der Sonne beschienen war. Ihm erschien da die unbarmherzige Deutlichkeit, mit der das im Licht stand, als ein ähnliches Beispiel des Lebens wie der Tod, aus dessen Umkreis sie kamen. Tonka aber «hatte» nur «Kinder gern»; sie beugte sich scherzend und tröstend zu der Kleinen, fand den Anblick vielleicht drollig, und das war das letzte, so sehr er sich auch bemühte, ihr zu zeigen, daß dieser Anblick dahinter noch etwas anderes war. Von wie vielen Seiten er auch kam, er stand zuletzt immer vor der gleichen Undurchsichtigkeit in ihrem Geiste; Tonka war nicht dumm, aber etwas schien sie zu hindern, klug zu sein, und zum erstenmal empfand er dieses weit ausgedehnte Mitleid mit ihr, das so schwer zu begründen war.
Ein andermal fragte er sie: «Wie lange sind Sie nun eigentlich schon bei Großmama, Fräulein?» Und als sie geantwortet hatte, sagte er: «So? Eine lange Zeit, wenn man sie neben einer Greisin zubringen muß.»
«Oh!» machte Tonka. «Ich bin gern da.»
«Nun, mir können Sie ruhig das Gegenteil sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich ein junges Mädchen dabei wohlfühlen soll.»
«Man tut seine Arbeit», antwortete Tonka und wurde rot.
«Tut seine Arbeit, schön, aber man will doch auch anderes vom Leben?»
«Ja.»
«Und haben Sie das denn?»
«Nein.»
«Ja – nein, ja – nein» – er wurde ungeduldig – «was soll das heißen? Schimpfen Sie wenigstens auf uns!» Aber er sah, daß sie mit Antworten kämpfte, die sie immer wieder im letzten Augenblick von den Lippen verwarf, und sie tat ihm plötzlich leid. «Sie werden mich wohl kaum verstehen, Fräulein, ich denke nicht schlecht von meiner Großmutter, das ist es nicht; sie ist auch eine arme Frau, aber ich denke jetzt nicht von dieser Seite: das ist meine Art. Ich denke von Ihrer Seite, und da ist sie ein Klumpen Scheußlichkeit. Verstehen Sie mich jetzt?»
«Ja,» sagte das Fräulein leise und wurde über und über rot. «Ich habe Sie auch schon früher verstanden. Aber ich kann’s nicht sagen.»
Da lachte er nun. «Das ist etwas, das mir noch nie widerfahren ist: etwas nicht sagen können! Aber jetzt will ich erst recht wissen, was Sie antworten möchten, ich werde Ihnen helfen.» Er wandte sich so völlig zu ihr, daß sie noch mehr verlegen wurde. «Also fangen wir an: Macht Ihnen die ruhige, gleichmäßige Pflicht, das geregelte Taugaustagein vielleicht Vergnügen? Ist es das?»
«Oh, nun, ich weiß nicht, wie Sie das meinen; ich habe meine Arbeit ganz gern.»
«Ganz gern, schön. Aber Bedürfnis: nicht gerade? Es gibt ja Leute, die gar nichts anderes wollen als Tagwerk.»
«Wie meinen Sie das?»
«Wünsche, Träume, Ehrgeiz meine ich; läßt Sie ein Tag wie heute unberührt?»
Es war zwischen den Mauern der Stadt ein Tag voll Zittern und Frühlingshonig.
Da lachte das Fräulein: «Nein. Aber das ist es doch nicht.»
«Ist es nicht? Nun, dann haben Sie vielleicht eine
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