Gesammelte Werke
Kriegsminister stand gleichfalls sehr aufrecht und lächelte ausdauernd, so wie er es gewohnt war, bei einer Parade die Hand lange dankend an den Kappenschirm zu halten.
Graf Leinsdorf fragte: «Sagen Sie, wer ist eigentlich dieser Feuermaul?»
«Sein Vater hat in Ungarn mehrere Betriebe» erwiderte Ulrich. «Ich glaube, irgendwas mit Phosphor, wobei kein Arbeiter älter als vierzig Jahre wird: Berufskrankheit Knochennekrose.»
«Na ja, aber der Junge?» Das Arbeiterschicksal berührte Leinsdorf nicht.
«Der hat studieren sollen; Jus, glaube ich. Der Vater ist ein selbstgemachter Mann, und es soll ihn gekränkt haben, daß der Junge keine Lust zu lernen hatte.» «Warum hat er keine Lust zu lernen gehabt?» fragte Graf Leinsdorf, der an diesem Tag sehr gründlich war.
«Du lieber Himmel,» meinte Ulrich achselzuckend «wahrscheinlich: ‹Väter und Söhne›. Wenn der Vater arm ist, lieben die Söhne das Geld; wenn der Papa Geld hat, lieben die Söhne wieder alle Menschen. Haben Erlaucht noch nichts von dem Problem des Sohnes in unserer Zeit gehört?»
«Ja, ich hab was davon gehört. Aber warum protegiert der Arnheim den Feuermaul? Hängt das mit den Ölfeldern zusammen?» fragte Graf Leinsdorf.
«Erlaucht wissen das?!» rief Ulrich aus.
«Natürlich weiß ich alles» gab Leinsdorf geduldig zur Antwort. «Aber was ich nicht verstehe, bleibt das Folgende: Daß die Menschen einander lieben sollen und daß die Regierung dazu eine starke Hand braucht, das hat man ja immer gewußt; also warum soll das auf einmal ein ‹Entweder-Oder› sein?»
Ulrich erwiderte: «Erlaucht haben sich immer eine aus dem Ganzen aufsteigende Kundgebung gewünscht: so muß sie aussehn!»
«Ah, das ist nicht wahr –!» widersprach ihm Leinsdorf angeregt, aber ehe er fortfahren konnte, wurden sie durch Stumm von Bordwehr unterbrochen, der von der Gruppe Arnheim kam und in aufgeregter Eile von Ulrich etwas zu wissen wünschte. «Entschuldigen, Erlaucht, wenn ich störe» bat er. «Aber sag mir,» wandte er sich an Ulrich «kann man wirklich behaupten, daß der Mensch nur seinen Affekten folgt, und nie der Vernunft?»
Ulrich sah ihn ungeistesgegenwärtig an.
«Drüben ist so ein Marxist,» erläuterte Stumm «der behauptet sozusagen, daß der ökonomische Unterbau eines Menschen ganz und gar seinen ideologischen Überbau bestimmt. Und ihm widerspricht ein Psychoanalytiker; der behauptet, daß der ideologische Überbau ganz und gar ein Produkt seines triebhaften Unterbaus ist.»
«Das ist nicht so einfach» meinte Ulrich, der zu entkommen wünschte.
«Das sag ich auch immer! Aber es hat nur nichts genutzt!» erwiderte der General sofort und ließ ihn nicht aus den Augen. Aber auch Leinsdorf ergriff wieder das Wort. «Ja, sehen Sie,» sagte er zu Ulrich «so etwas Ähnliches habe ich ja gerade auch zur Diskussion stellen wollen. Denn ob der Unterbau jetzt meinethalben ökonomisch oder geschlechtlich ist – also was ich vordem hab sagen wollen, ist: warum sind die Leut im Überbau so unzuverlässig?! Nämlich, man sagt doch sprichwörtlich: die Welt ist verrückt; und am End könnte man manchmal glauben, daß es wahr ist!»
«Das ist die Psychologie der Masse, Erlaucht!» mischte sich der gelehrte General wieder ein. «Soweit es die Masse angeht, versteh ich das sehr gut. Die Masse wird nur von Trieben bewegt, und dann natürlich von denen, die den meisten Individuen gemeinsam sind: das ist logisch! Das heißt, das ist natürlich unlogisch: Die Masse ist unlogisch, sie benützt logische Gedanken gerade nur zum Aufputzen! Wovon sie sich wirklich leiten läßt, das ist einzig und allein die Suggestion! Wenn Sie mir die Zeitungen, den Rundfunk, die Lichtspielindustrie und vielleicht noch ein paar andere Kulturmittel überantworten, so verpflichte ich mich, in ein paar Jahren – wie mein Freund Ulrich einmal gesagt hat – aus den Menschen Menschenfresser zu machen! Gerade darum braucht die Menschheit ja auch eine starke Führung! Erlaucht wissen das übrigens besser als ich! Aber daß auch der unter Umständen so hochstehende einzelne Mensch nicht logisch sein soll, das kann ich nicht glauben, obwohl es auch der Arnheim behauptet.»
Was hätte Ulrich seinem Freund für diese sehr zufällige Kontroverse an die Hand geben sollen? Wie sich an einer Angel ein Grasbüschel statt eines Fisches verfängt, hing an des Generals Frage ein wirres Büschel von Theorien. Ob der Mensch nur seinen Affekten folgt, nur das tut, fühlt, ja sogar
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