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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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«Und» ausdrückt, das dem Geistesschwachen verwickeltere Beziehungen ersetzt; und es darf behauptet werden, daß sich auch die Welt, unerachtet alles in ihr enthaltenen Geistes, in einem solchen der Imbezillität verwandten Zustand befindet, ja es läßt sich das gar nicht vermeiden, wenn man die Geschehnisse, die sich in ihr abspielen, aus dem Ganzen verstehen will.
    Nicht, als ob nun etwa Urheber oder Teilnehmer einer solchen Betrachtung die einzig Klugen sein sollten! Es kommt da gar nicht auf den einzelnen an, so wenig wie auf die Geschäfte, die er betreibt und die auch von jedem, der an diesem Abend zu Diotima gekommen war, mit mehr oder weniger Schlauheit betrieben wurden. Denn wenn zum Beispiel General von Stumm in der Pause alsbald mit Sr. Erlaucht in ein Gespräch geriet, in dessen Verlauf er freundlich-eigensinnig und ehrerbietig-freimütig mit den Worten widersprach: «Halten zu Gnaden, Erlaucht, daß ich das aufs heftigste bestreite; aber in dem Stolz der Leute auf ihre Rasse Hegt nicht nur eine Anmaßung, sondern auch etwas sympathisches Adeliges!» so wußte er genau, was er mit diesen Worten meinte, nicht genau wußte er bloß, was er mit ihnen sagte, denn um solche zivile Worte ist ein Plus wie dicke Handschuhe, in denen man aus einer Schachtel Zündhölzer ein einzelnes zu fassen sucht. Und Leo Fischel, der sich nicht von Stumm getrennt hatte, als er bemerkte, daß der General ungeduldig zu Sr. Erlaucht strebe, fügte hinzu: «Man muß die Menschen nicht nach der Rasse unterscheiden, sondern nach Verdienst!» Und auch was Se. Erlaucht entgegnete, war folgerichtig; Se. Erlaucht überging nämlich den ihm frisch vorgestellten Direktor Fischel und antwortete von Stumm: «Wozu brauchen die Bürgerlichen eine Rasse?! Daß ein Kammerherr sechzehn adelige Ahnen haben muß, darüber haben sie sich immer aufgehalten als eine Anmaßung, und was tun sie jetzt selber? Nachmachen möchten sie’s und übertreiben tun sie’s. Mehr als sechzehn Ahnen ist ja einfach schon ein Snobismus!» Denn Se. Erlaucht war gereizt, und da war es ganz logisch, daß er so sprach. Es ist ja überhaupt nicht strittig, daß der Mensch Vernunft besitzt, sondern nur, wie er sie in Gemeinschaft anwendet.
    Se. Erlaucht war ärgerlich über das Eindringen «völkischer» Elemente in die Parallelaktion, das er selbst veranlaßt hatte. Verschiedene politische und gesellschaftliche Rücksichten hatten ihn dazu gezwungen; er selbst anerkannte nur das «Staatsvolk». Seine politischen Freunde hatten ihm geraten: «Es schad’t doch nichts, wenn du dir anhörst, was sie von Rasse und Reinheit und Blut sagen; wer nimmt denn überhaupt ernst, was einer redet!» «Aber da sprechen sie ja vom Menschen geradeso, als ob er ein Vieh wäre!» hatte Graf Leinsdorf abgewehrt, der eine katholische Auffassung von der Würde des Menschen besaß, die ihn einzusehen hinderte, daß man die Ideale der Hühner- und Pferdezucht auch auf Gottes Kinder anwenden könne, obwohl er ein Großgrundbesitzer war. Darauf hatten seine Freunde gesagt: «Du mußt es ja nicht gleich so tief betrachten! Und vielleicht ist es sogar besser, als daß sie von Humanität und solchen ausländischen Revolutionsbegriffen reden, wie das bisher immer geschehen ist!»Und das hatte Sr. Erlaucht schließlich eingeleuchtet. Se. Erlaucht war aber auch ärgerlich darüber, daß dieser Feuermaul, dessen Einladung er Diotima aufgenötigt hatte, bloß neue Verwirrung in die Parallelaktion brachte und ihn enttäuschte. Die Baronin Wayden hatte von ihm Wunder erzählt, und er hatte ihrem Drängen schließlich nachgegeben. «Darin haben Sie ja ganz recht,» hatte Leinsdorf eingeräumt «daß wir bei dem jetzigen Kurs leicht in den Ruf kommen zu germanisieren. Und darin haben Sie auch recht, daß es da vielleicht nicht schadet, wenn wir auch einen Dichter einladen, der davon redet, daß man alle Menschen lieben muß. Aber sehen Sie, ich kann das halt der Tuzzi nicht antun!» Aber die Wayden hatte nicht nachgelassen und mußte neue einleuchtende Gründe gefunden haben, denn am Ende der Unterredung hatte Leinsdorf ihr versprochen, die Einladung von Diotima zu fordern. «Gern tu ich’s nicht» hatte er gesagt. «Aber eine starke Hand braucht auch ein schönes Wort, um sich den Leuten verständlich zu machen: darin pflichte ich Ihnen bei. Und darin haben Sie auch recht, daß alles in letzter Zeit zu langsam geht, es ist nicht mehr der rechte Eifer dahinter!» Aber nun war er nicht zufrieden. Se.

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