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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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schlecht. Eine ganz gute Bezeichnung für das heutige Leben. Übrigens hab ich immer gewußt, daß in Ihnen heimlich gar kein schlechter Katholik steckt!»
    «Ich bin ein sehr schlechter» antwortete Ulrich. «Ich glaube nicht, daß Gott da war, sondern daß er erst kommt. Aber nur, wenn man ihm den Weg kürzer macht als bisher!»
    Se. Erlaucht wies das mit den würdigen Worten zurück: «Das ist mir zu hoch!»
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    Ein großes Ereignis ist im Entstehen. Aber man hat es nicht gemerkt
    Dagegen rief der General aus: «Ich muß jetzt leider unverzüglich zu Seiner Exzellenz zurück, aber das alles mußt du mir unbedingt noch erklären, ich laß dich nicht aus! Ich komme dann noch einmal her, wenn die Herrn gestatten!»
    Leinsdorf machte den Eindruck, daß er etwas sagen wolle, die Gedanken arbeiteten gewaltig in ihm, aber Ulrich und er waren kaum einen Augenblick allein geblieben, so sahen sie sich von Menschen umgeben, die das allgemeine Kreisen heranführte und die anziehende Person Sr. Erlaucht festhielt. Von dem, was Ulrich soeben gesagt hatte, war natürlich nicht mehr die Rede, und niemand außer ihm dachte noch daran, da schob sich von hinten ein Arm in den seinen, und Agathe stand bei ihm. «Hast du schon einen Grund gefunden, mich zu verteidigen?» fragte sie mit liebkosender Bosheit.
    Ulrich ließ ihren Arm nicht los und wandte sich mit ihr von den Menschen ab, bei denen er gestanden hatte.
    «Können wir nicht nach Hause gehn?» fragte Agathe.
    «Nein,» sagte Ulrich «ich kann ja noch nicht fort.»
    «Dich läßt wohl die kommende Zeit nicht fort, um deretwillen du dich hier rein halten mußt?» neckte ihn Agathe.
    Ulrich drückte ihren Arm.
    «Ich finde, es spricht sehr für mich, daß ich nicht hieher gehöre, sondern ins Zuchthaus!» flüsterte sie ihm ins Ohr.
    Sie suchten einen Platz, wo sie allein sein könnten. Die Versammlung war jetzt richtig aufgekocht und trieb ihre Teilnehmer langsam durcheinander. Immer noch war im ganzen die zweifache Gruppierung zu unterscheiden: um den Kriegsminister war von Frieden und Liebe die Rede, um Arnheim augenblicklich davon, daß die deutsche Milde am besten im Schatten der deutschen Kraft gedeihe.
    Er hörte es wohlwollend an, weil er niemals eine ehrliche Meinung zurückwies und eine besondere Liebe für neue Meinungen hatte. Seine Sorge war, ob das Geschäft mit den Ölfeldern im Parlament Schwierigkeiten finden werde. Er rechnete damit, daß die Opposition der slawischen Politiker keinesfalls zu vermeiden sein werde, und hoffte, sich der Stimmung unter den Deutschen zu vergewissern. In den Regierungskreisen stand die Angelegenheit gut bis auf eine gewisse Gegnerschaft im Ministerium des Äußern, der er keine große Bedeutung beimaß. Nächsten Tags sollte er nach Budapest reisen.
    Feindliche «Beobachter» gab es rings um ihn und die anderen Hauptpersonen genug. Sie waren am raschesten daran zu erkennen, daß sie zu allem Ja sagten und die nettesten Leute waren, während doch die übrigen meist verschiedener Meinung waren.
    Tuzzi suchte einen von ihnen mit den Worten zu überzeugen: «Was geredet wird, bedeutet gar nichts. Das bedeutet nie etwas!» Der andere glaubte es ihm. Es war ein Parlamentarier. Aber er änderte nicht die Meinung, die er schon mitgebracht hatte, daß trotzdem hier Böses vor sich gehe.
    Se. Erlaucht verteidigte dagegen im Gespräch mit einem anderen Frager die Bedeutung des Abends mit den Worten: «Mein Verehrter, sogar Revolutionen werden seit Achtzehnhundertachtundvierzig nur noch durch vieles Reden gemacht!»
    Es wäre falsch, in solchen Unterschieden nichts als die erlaubte Abweichung von der Eintönigkeit zu sehen, die das Leben sonst hätte; und doch wird dieser folgenschwere Irrtum beinahe ebensooft begangen, wie von dem Satz: «Das ist Gefühlssache!» Gebrauch gemacht wird, ohne den die Einrichtung unseres Geistes gar nicht zu denken ist. Dieser unentbehrliche Satz trennt das, was im Leben sein muß, von dem, was sein kann. «Er trennt» sagte Ulrich zu Agathe «die gesetzte Ordnung von einem eingeräumten persönlichen Spielraum. Er trennt das, was rationalisiert ist, von dem, was für irrational gilt. Er bedeutet, in der üblichen Art gebraucht, das Eingeständnis, daß die Menschlichkeit in den Hauptsachen ein Zwang sei, in den Nebensachen aber eine verdächtige Willkür. Man meint, das Leben wäre ein Zuchthaus, stünde es nicht in unserem Belieben, ob wir Wein oder Wasser vorziehn, Atheisten oder Frömmler sein wollen,

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