Gesammelte Werke
denn, ich müsse mir das gefallen lassen?» und sann nach, wie ich ihm eins moralisch vor den Kopf geben könnte. Nach etwas recht Verletzendem suchte ich. Dabei fiel mir ein, daß mir Beineberg am Morgen erzählt hatte, ihm sei Geld gestohlen worden. Ganz nebenbei fiel es mir ein. Aber es kehrte wieder. Und es schnürte mir förmlich den Hals zusammen. ‹Es käme doch wunderbar gelegen›;, dachte ich mir und fragte ihn beiläufig, wieviel Geld er denn noch besitze. Die Rechnung, die ich daraufhin anstellte, stimmte. «Wer war denn so dumm, dir trotz allem noch Geld zu borgen?» fragte ich lachend. «Hofmeier.»
Ich glaube, ich zitterte vor Freude. Hofmeier war nämlich zwei Stunden vorher bei mir gewesen, um sich selbst etwas Geld zu entleihen. So war das, was mir vor ein paar Minuten durch den Kopf gefahren war, plötzlich Wirklichkeit geworden. Nicht anders, als wenn du zufällig, scherzend denkst: Dieses Haus sollte jetzt brennen, und im nächsten Augenblick schießt das Feuer schon meterhoch empor ...
Ich überschlug rasch noch einmal alle Möglichkeiten; freilich, Gewißheit war ja nicht zu gewinnen, aber mein Gefühl genügte mir. So neigte ich mich denn zu ihm hin und sagte in wirklich liebenswürdigster Weise, so als ob ich ihm ganz sanft ein schlankes, spitzes Stäbchen ins Gehirn hineintriebe: «Schau doch, lieber Basini, warum willst du mich anlügen?» Wie ich das sagte, schienen seine Augen ängstlich im Kopfe zu schwimmen, ich aber fuhr fort: «Du kannst ja vielleicht bald jemandem etwas vormachen, aber gerade ich bin nicht der Richtige. Du weißt doch, Beineberg. ...» Er wurde nicht rot und nicht bleich, es schien, als warte er auf Lösung eines Mißverständnisses. «Na, um es kurz zu machen,» sagte ich da, «das Geld, wovon du mir deine Schuld bezahltest, hast du heute nacht aus Beinebergs Schublade genommen!»
Ich lehnte mich zurück, um den Eindruck zu beobachten. Er war kirschrot geworden; die Worte, an denen er würgte, trieben ihm den Speichel auf die Lippen; endlich vermochte er zu sprechen. Es war ein ganzer Guß von Beschuldigungen gegen mich: wie ich mich unterstehen könne, so etwas zu behaupten; was denn eine solche schimpfliche Vermutung auch nur im entferntesten rechtfertige; daß ich nur Streit mit ihm suche, weil er der Schwächere sei; daß ich es nur aus Ärger tue, weil er nach Zahlung seiner Schulden von mir erlöst sei; daß er aber die Klasse anrufen werde, ... den Präfekten, ... den Direktor; daß Gott seine Unschuld bezeugen möge, und so weiter ins Unendliche. Mir wurde wirklich schon bange, daß ich ihm unrecht getan und ihn unnötig verletzt habe, so hübsch stand ihm die Röte im Gesicht; ... wie ein gequältes, wehrloses, kleines Tierchen sah er aus. Aber es litt mich doch nicht, so ohne weiteres beizugeben. So hielt ich denn ein spöttisches Lächeln fest, – eigentlich fast nur aus Verlegenheit, – mit dem ich alle seine Reden anhörte. Hie und da nickte ich dazu und sagte ruhig: «Aber ich weiß es doch.»
Nach einer Weile wurde auch er ruhig. Ich lächelte weiter. Ich hatte ein Gefühl, als ob ich ihn durch dieses Lächeln allein zum Diebe machen könnte, selbst wenn er es noch nicht gewesen wäre. «Und zum Gutmachen», dachte ich mir, «ist auch später immer noch Zeit.»
Wieder nach einer Weile, während deren er mich von Zeit zu Zeit heimlich angesehen hatte, wurde er plötzlich bleich. Eine merkwürdige Veränderung ging mit seinem Gesichte vor. Die förmlich unschuldige Anmut, die es vorher verschönt hatte, schwand; wie es schien, mit der Farbe. Es sah nun grünlich aus, käsig, verquollen. Ich hatte so etwas vorher nur ein einziges Mal gesehen, – als ich auf der Straße hinzukam, wie man einen Mörder arretierte. Der war auch unter den anderen Leuten umhergegangen, ohne daß man ihm das geringste hätte anmerken können. Als ihm aber der Schutzmann die Hand auf die Schulter legte, war er plötzlich ein anderer Mensch geworden. Sein Gesicht hatte sich verwandelt, und seine Augen starrten erschrocken und nach einem Ausweg suchend aus einer wahren Galgenphysiognomie.
Daran wurde ich durch den Wechsel in Basinis Ausdruck erinnert; ich wußte nun alles und wartete nur noch ...
Und es kam auch so. Ohne daß ich etwas gesagt hätte, fing Basini – von dem Schweigen erschöpft – zu weinen an und bat mich um Gnade. Er habe das Geld ja nur in der Not genommen; wenn ich nicht daraufgekommen wäre, hätte er es so bald wieder zurückgegeben, daß
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