Gesammelte Werke
Unbrauchbarem schieden; sich wählen zu wissen, wenn auch falsch – besser doch, als überempfänglich alles in sich aufzunehmen ...
Als er in die Kammer getreten war, hatte sich diese innere Zwiespältigkeit, wie stets an diesem Orte, wieder seiner bemächtigt.
Reiting hatte unterdessen zu erzählen angefangen:
Basini war ihm Geld schuldig gewesen, hatte ihn von einem Termin zum andern vertröstet; jedesmal unter Ehrenwort. «Ich hatte ja soweit nichts dagegen», meinte Reiting, «je länger es so ging, desto mehr wurde er von mir abhängig. Ein drei- oder vierfach gebrochenes Ehrenwort ist am Ende doch keine Kleinigkeit? Aber schließlich brauchte ich mein Geld selbst. Ich machte ihn darauf aufmerksam, und er schwor hoch und heilig. Hielt natürlich wieder nicht Wort. Da erklärte ich ihm, daß ich ihn anzeigen würde. Er bat um zwei Tage Zeit, weil er eine Sendung von seinem Vormunde erwarte. Ich aber erkundigte mich einstweilen ein wenig um seine Verhältnisse. Wollte wissen, von wem er etwa noch abhängig sei; man muß doch damit rechnen können.
Was ich erfuhr, war mir nicht gerade angenehm. Er hatte bei Dschjusch Schulden und noch bei einigen anderen. Einen Teil davon hatte er schon gezahlt, natürlich von dem Gelde, das er mir schuldig blieb. Die anderen brannten ihm unter den Nägeln. Mich ärgerte das. Hielt er mich für den Gutmütigsten? Das wäre mir kaum sympathisch gewesen. Aber ich dachte mir: «Abwarten. Es wird sich schon Gelegenheit finden, ihm solche Irrtümer auszutreiben.» Gesprächsweise hatte er mir einmal die Summe des erwarteten Betrags genannt, um mich zu beruhigen, daß diese größer sei als mein Guthaben. Ich fragte nun genau herum und brachte heraus, daß für die Gesamtsumme der Schulden der Betrag beiweitem nicht ausreiche. «Aha,» dachte ich mir, «jetzt wird er es wohl noch einmal probieren.»
Und richtig kam er ganz vertraulich zu mir und bat, weil die andern so sehr drängten, um ein wenig Nachsicht. Ich blieb aber diesmal ganz kalt. «Bettel die andern,» sagte ich ihm, «ich bin nicht gewohnt, nach ihnen zu kommen.» «Dich kenne ich besser, zu dir habe ich mehr Vertrauen», versuchte er. «Mein letztes Wort: Du bringst mir morgen das Geld oder ich lege dir meine Bedingungen auf.» «Was für Bedingungen?» erkundigte er sich. Das hättet ihr hören sollen! Als ob er bereit wäre, seine Seele zu verkaufen. «Was für Bedingungen? Oho! Du mußt mir in allem, was ich unternehme, Gefolgschaft leisten.» «Wenn es weiter nichts ist? Das tue ich gewiß, ich halte von selbst gerne zu dir.» «Oh, nicht nur wenn es dir Vergnügen macht; du mußt ausführen, was immer ich will, – in blindem Gehorsam!» Jetzt sah er mich so schief, halb grinsend und halb verlegen, an. Er wußte nicht, wie weit er sich einlassen könne, wie weit es mir Ernst sei. Er hätte mir wahrscheinlich gerne alles versprochen, aber er mußte wohl fürchten, daß ich ihn nur auf die Probe stelle. Schließlich sagte er daher und wurde rot: «Ich werde dir das Geld bringen.» Mir machte er Spaß, das war so ein Mensch, den ich bisher unter den fünfzig anderen gar nicht beachtet hatte. Er zählte doch nie mit, nicht? Und nun war er mir plötzlich so ganz nahe getreten, daß ich ihn bis ins kleinste sah. Ich wußte gewiß, daß der bereit sei, sich zu verkaufen; ohne viel Aufhebens, wenn nur niemand darum wußte. Es war wirklich eine Überraschung, und es gibt gar nichts Schöneres, als wenn einem ein Mensch plötzlich auf solche Weise offenbar wird, seine bisher unbeachtete Art zu leben plötzlich vor einem liegt wie die Gänge eines Wurms, wenn das Holz entzwei springt ...
Am nächsten Tage brachte er mir richtig das Geld. Ja mehr als das, er lud mich ein, mit ihm im Kasino etwas zu trinken. Er bestellte Wein, Torte, Zigaretten und bat mich, mir aufwarten zu dürfen – aus «Dankbarkeit», weil ich so geduldig gewesen sei. Mir war nur unangenehm, daß er dabei so furchtbar harmlos tat. So als ob nie zwischen uns ein verletzendes Wort gefallen wäre. Ich deutete darauf hin; er wurde nur noch herzlicher. Es war so, als ob er sich mir entwinden, sich mir wieder gleichsetzen wollte. Er machte sich von nichts mehr wissen, mit jedem zweiten Worte drängte er mir eine Beteuerung seiner Freundschaft auf; nur in seinen Augen war etwas, das sich an mich klammerte, als ob er sich fürchte, das künstlich geschaffene Gefühl der Nähe wieder zu verlieren. Schließlich wurde er mir zuwider. Ich dachte: «glaubt er
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