Gesammelte Werke
in jenem Teile wagrecht, der unmittelbar unter dem Treppenabsatze lag, und auch hier nur so hoch, daß man knapp aufrecht stehen konnte. Nach hinten zu schrägte sie sich aber, dem Profile der Stiege folgend, ab und endigte in einem spitzen Winkel. Mit der diesem gegenüberliegenden Stirnseite stieß der kleine Raum an die dünne Zwischenmauer, welche den Dachboden von dem Stiegenhause trennte, und erhielt eine längsseitige natürliche Begrenzung durch das Gemäuer, an dem die Stiege hochgeführt war. Bloß die zweite Seitenwand, in welcher die Türe angebracht war, schien erst eigens hinzugekommen zu sein. Sie verdankte wohl der Absicht ihr Entstehen, hier eine kleine Kammer für Geräte zu schaffen, vielleicht auch nur einer Laune des Baumeisters, dem beim Anblicke dieses finsteren Winkels der mittelalterliche Einfall gekommen sein mochte, ihn zu einem Versteck vermauern zu lassen.
Jedenfalls gab es außer den Dreien kaum einen Menschen im ganzen Institute, der von dem Bestehen dieses Raumes wußte, geschweige denn daran dachte, ihm irgendeine Bestimmung zu geben.
So konnten sie sich denselben ganz nach ihrem abenteuerlichen Sinne ausstatten.
Die Wände waren vollständig mit einem blutroten Fahnenstoff ausgekleidet, den Reiting und Beineberg aus einem der Bodenräume entwendet hatten, und der Fußboden war mit einer doppelten Lage dicker, wolliger Kotzen bedeckt, wie solche im Winter in den Schlafsälen als zweite Decken dienten. In dem vorderen Teile der Kammer standen niedere, mit Stoff überzogene Kistchen, die als Sitze verwendet wurden; hinten, wo Fußboden und Decke in den spitzen Winkel ausliefen, war eine Schlafstätte hergerichtet. Sie bot ein Lager für drei bis vier Personen, das sich durch einen Vorhang verdunkeln und von dem vorderen Teile der Kammer abtrennen ließ.
An der Wand hing neben der Türe ein geladener Revolver.
Törleß liebte diese Kammer nicht. Ihre Enge und dieses Alleinsein gefielen ihm wohl, man war wie tief in dem Inneren eines Berges, und der Geruch der alten, verstaubten Kulissen durchzog ihn mit unbestimmten Empfindungen. Aber die Verstecktheit, diese Alarmschnüre, dieser Revolver, der eine äußerste Illusion von Trotz und Heimlichkeit geben sollte, kamen ihm lächerlich vor. Es war, als wollte man sich einreden, ein Räuberleben zu führen.
Törleß tat dabei eigentlich nur mit, weil er hinter den beiden anderen nicht zurückstehen wollte. Beineberg und Reiting aber nahmen diese Dinge furchtbar ernst. Das wußte Törleß. Er wußte, daß Beineberg zu allen Keller- und Bodenräumen des Institutes Nachschlüssel besaß. Wußte, daß dieser oft für mehrere Stunden von der Klasse verschwand, um irgendwo – hoch oben in den Sparren des Dachstuhles oder unter der Erde in einem der vielen verzweigten, verfallenden Gewölbe – zu sitzen und bei dem Scheine einer kleinen Laterne, die er stets bei sich trug, abenteuerliche Geschichten zu lesen oder sich Gedanken über die übernatürlichen Dinge eingeben zu lassen.
Ähnliches wußte er auch von Reiting. Dieser hatte gleichfalls seine versteckten Winkel, in denen er geheime Tagebücher aufbewahrte; nur waren diese mit verwogenen Plänen für die Zukunft ausgefüllt und mit genauen Aufzeichnungen über Ursache, Inszenesetzung und Verlauf der zahlreichen Intrigen, die er unter seinen Kameraden anstiftete. Denn Reiting kannte kein größeres Vergnügen, als Menschen gegeneinander zu hetzen, den einen mit Hilfe des anderen unterzukriegen und sich an abgezwungenen Gefälligkeiten und Schmeicheleien zu weiden, hinter deren Hülle er noch das Widerstreben des Hasses fühlen konnte.
«Ich übe mich dabei», war die einzige Entschuldigung, und er gab sie mit liebenswürdigem Lachen. Zur Übung sollte ihm auch gereichen, daß er fast täglich an irgendeinem entlegenen Orte, sei es gegen eine Wand, sei es gegen einen Baum oder einen Tisch, boxte, um seine Arme zu stärken und seine Hände durch Schwielen abzuhärten.
Törleß wußte um all dies, aber er verstand es nur bis zu einem gewissen Punkte. Er war einige Male sowohl Reiting als Beineberg auf ihren eigenwilligen Wegen gefolgt. Das Ungewöhnliche daran hatte ihm ja gefallen. Und auch das liebte er, hernach in die Tageshelle zu treten, unter alle Kameraden, mitten in die Heiterkeit hinein, während er in sich, in seinen Augen und Ohren, noch die Erregungen der Einsamkeit und die Halluzinationen der Dunkelheit zittern fühlte. Wenn ihm aber Beineberg oder Reiting bei solcher
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