Gesammelte Werke
niemand darum gewußt hätte. Ich solle doch nicht sagen, er habe gestohlen; er habe es sich ja nur heimlich ausgeliehen ...; weiter kam er nicht vor Tränen.
Danach aber bettelte er mich von neuem. Er wolle mir gehorsam sein, alles tun, was überhaupt ich wünsche, nur solle ich niemandem davon erzählen. Um diesen Preis bot er sich mir förmlich zum Sklaven an, und die Mischung von List und gieriger Angst, die sich dabei in seinen Augen krümmte, war widerwärtig. Ich versprach ihm daher auch nur kurz, mir noch überlegen zu wollen, was mit ihm geschehen werde, sagte aber, daß dies in erster Linie Beinebergs Sache sei. «Was sollen wir nun eurer Meinung nach mit ihm anfangen?»
Während Reiting erzählte, hatte Törleß wortlos, mit geschlossenen Augen zugehört. Von Zeit zu Zeit war ihm ein Frösteln bis in die Fingerspitzen gelaufen, und in seinem Kopfe stießen die Gedanken wild und ungeordnet in die Höhe wie Blasen in siedendem Wasser. Man sagt, daß es so dem ergehe, der zum ersten Male das Weib sehe, welches bestimmt ist, ihn in eine vernichtende Leidenschaft zu verwickeln. Man behauptet, daß es einen solchen Augenblick des Sichbückens, Kräfteheraufholens, Atemanhaltens, einen Augenblick äußeren Schweigens über gespanntester Innerlichkeit zwischen zwei Menschen gebe. Keinesfalls ist zu sagen, was in diesem Augenblicke vorgeht. Er ist gleichsam der Schatten, den die Leidenschaft vorauswirft. Ein organischer Schatten; eine Lockerung aller früheren Spannungen und zugleich ein Zustand plötzlicher, neuer Gebundenheit, in dem schon die ganze Zukunft enthalten ist; eine auf die Schärfe eines Nadelstichs konzentrierte Inkubation ... Und er ist andrerseits ein Nichts, ein dumpfes, unbestimmtes Gefühl, eine Schwäche, eine Angst ...
So fühlte es Törleß. Was Reiting von sich und Basini erzählte, schien ihm, wenn er sich darüber befragte, ohne Belang zu sein. Ein leichtsinniges Vergehen und eine feige Schlechtigkeit von seiten Basinis, worauf nun sicher irgendeine grausame Laune Reitings folgen werde. Andrerseits aber fühlte er wie in einer bangen Ahnung, daß die Ereignisse nun eine ganz persönliche Wendung gegen ihn genommen hatten, und in dem Zwischenfalle lag etwas, das ihn wie mit einer scharfen Spitze bedrohte.
Er mußte sich Basini bei Božena vorstellen, und er sah in der Kammer umher. Ihre Wände schienen ihm zu drohen, sich auf ihn zu senken, wie mit blutigen Händen nach ihm zu greifen, der Revolver rückte auf seinem Platze hin und her ...
Da war nun etwas zum ersten Male wie ein Stein in die unbestimmte Einsamkeit seiner Träumereien gefallen; es war da; da ließ sich nichts machen; es war Wirklichkeit. Gestern war Basini noch genau so wie er selbst gewesen; eine Falltüre hatte sich geöffnet, und Basini war gestürzt. Genau so, wie es Reiting schilderte: eine plötzliche Veränderung, und der Mensch hat gewechselt ...
Und wieder verknüpfte sich das irgendwie mit Božena. Seine Gedanken hatten Blasphemie getrieben. Ein fauler, süßer Geruch, der aus ihnen aufgestiegen war, hatte ihn verwirrt. Und diese tiefe Erniedrigung, diese Selbstaufgabe, dieses von den schweren, blassen, giftigen Blättern der Schande Bedecktwerden, das wie ein unkörperliches, fernes Spiegelbild durch seine Träume gezogen war, war nun plötzlich mit Basini – geschehen.
Es war also etwas, womit man wirklich rechnen muß, vor dem man sich hüten muß, das plötzlich aus den schweigsamen Spiegeln der Gedanken hervorspringen kann? ...
Dann war aber auch alles andere möglich. Dann waren Reiting und Beineberg möglich. War diese Kammer möglich ... Dann war es auch möglich, daß von der hellen, täglichen Welt, die er bisher allein gekannt hatte, ein Tor zu einer anderen, dumpfen, brandenden, leidenschaftlichen, nackten, vernichtenden führe. Daß zwischen jenen Menschen, deren Leben sich wie in einem durchsichtigen und festen Bau von Glas und Eisen geregelt zwischen Bureau und Familie bewegt, und anderen, Herabgestoßenen, Blutigen, ausschweifend Schmutzigen, in verwirrten Gängen voll brüllender Stimmen Irrenden, nicht nur ein Übergang besteht, sondern ihre Grenzen heimlich und nahe und jeden Augenblick überschreitbar aneinanderstoßen ...
Und die Frage bliebe nur: wie ist es möglich? Was geschieht in solchem Augenblicke? Was schießt da schreiend in die Höhe und was verlischt plötzlich? ...
Das waren die Fragen, die für Törleß mit diesem Ereignisse heraufstiegen. Sie stiegen undeutlich herauf,
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