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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Zigarette weggelegt und war aufgestanden. Ihre Blicke klammerten sich aneinander fest, mit jenem gespannten Schwanken der Körper zweier Menschen, die auf einem Seil nebeneinanderstehn. Dann sagten sie nichts, sondern zogen die Läden hoch und sahen auf die Straße hinaus; ihnen war, als lauschten sie auf ein Knistern von Spannungen in sich, die etwas wieder neu formten und zur Ruhe legten. Sie fühlten, daß sie ohneeinander nicht leben konnten und nur zusammen, wie ein kunstvoll in sich gestütztes System, das zu tragen vermochten, was sie wollten. Wenn sie aneinander dachten, erschien es ihnen fast krank und schmerzhaft, so zart und gewagt und unerfaßbar fühlten sie in seiner Empfindlichkeit gegen die kleinste Unsicherheit in seinem Innern ihr Verhältnis.
    Nach einer Weile, als sie im Anblick der fremden Welt draußen wieder sicher geworden waren, wurden sie müde und wünschten nebeneinander einzuschlafen. Sie fühlten nichts als einander und doch war es – schon ganz klein und im Dunkel verschwindend – noch ein Gefühl wie nach allen vier Weiten des Himmels.
    Am nächsten Morgen fuhr Claudine nach der kleinen Stadt, wo das Institut war, in dem ihre dreizehnjährige Tochter Lilli erzogen wurde. Dieses Kind stammte aus ihrer ersten Ehe, aber sein Vater war ein amerikanischer Zahnarzt, den Claudine – während eines Landaufenthaltes von Schmerzen gepeinigt – aufgesucht hatte. Sie hatte damals vergeblich auf den Besuch eines Freundes gewartet, dessen Eintreffen sich über alle Geduld hinaus verzögerte, und in einer eigentümlichen Trunkenheit von Ärger, Schmerzen, Äther und dem runden weißen Gesicht des Dentisten, das sie durch Tage beständig über dem ihren schweben sah, war es geschehen. Es erwachte niemals das Gewissen in ihr wegen dieses Vorfalls, noch wegen irgendeines jenes ersten, verlorenen Teils ihres Lebens; als sie nach mehreren Wochen noch einmal zur Nachbehandlung kommen mußte, ließ sie sich von ihrem Stubenmädchen begleiten und damit war das Erlebnis für sie beendet; es blieb nichts davon als die Erinnerung an eine sonderbare Wolke von Empfindungen, die sie eine Weile wie ein plötzlich über den Kopf geworfener Mantel verwirrt und erregt hatte und dann rasch zu Boden geglitten war.
    Denn es blieb ein Merkwürdiges in all ihrem damaligen Tun und Erleben. Es kam vor, daß sie kein so schnelles und gehaltenes Ende fand wie jenes eine Mal und lange scheinbar ganz unter der Herrschaft irgendwelcher Männer stand, für die sie dann bis zur Selbstaufopferung und vollen Willenlosigkeit alles tun konnte, was sie von ihr verlangten, aber es geschah nie, daß sie nachher das Gefühl starker oder wichtiger Ereignisse hatte; sie beging und erlitt Handlungen von einer Stärke der Leidenschaft bis zur Demütigung und verlor doch nie ein Bewußtsein, daß alles, was sie tat, sie im Grunde nicht berühre und im Wesentlichen nichts mit ihr zu tun habe. Wie ein Bach rauschte dieses Treiben einer unglücklichen, alltäglichen, untreuen Frau von ihr fort und sie hatte doch nur das Gefühl, reglos und in Gedanken daran zu sitzen.
    Es war ein niemals deutliches Bewußtsein einer fern begleitenden Innerlichkeit, das diese letzte Zurückhaltung und Sicherheit in ihr bedenkenloses Sich den Menschen ausliefern brachte. Hinter allen Verknüpfungen der wirklichen Erlebnisse lief etwas unaufgefunden dahin, und obwohl sie diese verborgene Wesenheit ihres Lebens nie noch ergriffen hatte und vielleicht sogar glaubte, daß sie niemals bis zu ihr hin werde dringen können, hatte sie doch bei allem, was geschah, davon ein Gefühl wie ein Gast, der ein fremdes Haus nur ein einziges Mal betritt und sich unbedenklich und ein wenig gelangweilt allem überläßt, was ihm dort begegnet.
    Und dann war alles, was sie tat und litt, für sie in dem Augenblick versunken, wo sie ihren jetzigen Mann kennen gelernt hatte. Sie war von da in eine Stille und Einsamkeit getreten, es kam nicht mehr darauf an, was vordem gewesen war, sondern nur auf das, was jetzt daraus wurde, und alles schien nur dazu dagewesen zu sein, daß sie einander stärker fühlten, oder war überhaupt vergessen. Ein betäubendes Empfinden des Wachsens hob sich wie Berge von Blüten um sie und nur ganz fern blieb ein Gefühl von ausgestandner Not, ein Hintergrund, von dem sich alles löste, wie in der Wärme schlaftrunken Bewegungen aus hartem Frost erwachen.
    Nur ein einziges lief vielleicht, dünn, blaß und kaum wahrnehmbar, von ihrem damaligen Leben in das

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