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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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im Geist Unauflösliche, Unversöhnte keine Unmittelbarkeit, sondern, wie ausdrücklich bei Hegel, ein »Vermitteltes«, selber ein Moment ist. Er verabsolutiert es im wörtlichen Verstande. Dadurch wird bei Kierkegaard, der sich als Dialektiker betrachtete, alles wieder vordialektisch fest, unabänderlich jenseits der Bewegung des Begriffs. Dialektik als solche schließlich stellt er still im Begriff des Paradoxen. Dieser spitzt sich zu gegen Vernunft, die notwendige Bedingung von Dialektik, und bildet diese in theologischen Irrationalismus zurück. Der hat dann in der These von der absoluten Andersheit Gottes die protestantische Theologie erobert.
    Gleichwohl kehrt Schweppenhäuser die Positionen nicht primitiv um, so als ob Hegel in allem und jedem recht behielte und Kierkegaard unrecht. Reif und besonnen bewahrt das Buch neben der Einsicht, wie sehr Kierkegaards Angriff dessen Objekt verfehlt, das Wahrheitsmoment seiner Hegel-Kritik. Relativ früh hat Kierkegaard die Problematik des identitätsphilosophischen Ansatzes durchschaut, diesen in einem weitesten, über Schelling hinausreichenden Verstand genommen. Stichhaltig polemisiert Kierkegaard insofern gegen das System, als darin dem Moment der Nichtidentität, so nachdrücklich Hegel es auch als solches bestimmt, konkret doch nicht das entscheidende Gewicht zufällt; untriftig wird die Kritik an jenem, weil Kierkegaard, indem er das nichtidentische Moment verficht, aus der Dialektik verzweifelt herausspringt und zurückfällt in jenes Denken, das bei Hegel bloße Reflexionsphilosophie heißt. Kierkegaard hat, bei aller Antipathie gegen Hegel, das Problem des Idealismus nicht gänzlich durchdacht. Ungezählte Kategorien aus dem idealistischen Bereich, neben solchen von Hegel selbst vor allem auch solche von Fichte, sind von dem Feind des Idealismus gleichsam naiv konserviert. Während Kierkegaards Angriff an seinem Gegenstand vorbeizielt, ist er gleichzeitig nicht stark genug, um das System zu entkräften.
    Bei aller Gelehrsamkeit und Sorgfalt ist Schweppenhäusers Werk darum genuin philosophisch, weil es weder in der Entschlüsselung des von den behandelten Autoren Gemeinten sich erschöpft noch von einem Thema probandum her dirigiert ist, sondern rein von der Sache getrieben: die zwischen Kierkegaard und Hegel strittigen Fragen werden dicht an den Texten ihrem Wahrheitsgehalt nach behandelt. Geistige Autonomie wird im Buch nicht beredet; sie realisiert sich darin. Souverän unabhängig von den in Deutschland vorherrschenden Ansichten über Kierkegaard, etwa der von Jaspers, wird gedacht. Freiheit und Autonomie bewährt sich auch in der Darstellung. Sie verschmäht jede Konzession an die breiten Bettelsuppen des Approbierten, jegliche Verbeugung vorm einverstandenen Verständnis. Die Dichte und Gedrängtheit des Stils ist eins mit der Intensität des Denkens. Sie steigert sich bis zum Atemlosen. Dadurch sticht sie, ohne je zu poetisieren, von den Manieren der offiziellen Wissenschaft schockhaft ab: eine Norm dafür wird gesetzt, wie geschrieben werden müßte, wenn nicht der emphatische Anspruch von Philosophie, ihr Kantischer »Weltbegriff«, durch Laxheit und Gemütlichkeit des Ausdrucks zum Schulbegriff degenerieren soll. Indem Schweppenhäusers Buch gegen Kierkegaard sich kehrt, bietet es wahrhaft jenes Ärgernis, das jener einmal bieten wollte und das längst im Konformismus seiner Nachfolger zerging. Gerade dadurch hält es Kierkegaard die Treue. Nicht bloß verspricht das Werk eine bedeutende, durch keinen Autoritätsglauben beengte Entwicklung, sondern vermag, so wie es ist, heute und hier schon als Modell dessen einzustehen, wie überhaupt noch Philosophie gedacht und geschrieben werden kann, die nicht schon an ihrem ersten Tag veraltet wäre.
     
    1967
     
     
Fußnoten
    1 Hermann Schweppenhäuser, Kierkegaards Angriff auf die Spekulation. Eine Verteidigung. Frankfurt a.M. 1967.
     
     

Zu Ulrich Sonnemanns »Negativer Anthropologie« *
     
    Meine Beziehung zur »Negativen Anthropologie« Sonnemanns ist, wenn davon die Rede sein darf, von der merkwürdigsten Art, der einer ganz unvorhergesehenen Koinzidenz: der Titel seines Buches stand fest wie der des meinen: »Negative Dialektik«, ohne daß wir davon wußten. Darin prägt sich eine ungeplante, einzig durch die Sache motivierte Nähe der Intentionen aus, die mich als Bestätigung beglückt.
    Anthropologie und Philosophie waren in den zwanziger Jahren, durch Scheler und seine Schule, aber auch durch

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