Gesammelte Werke
alle Phänomenologie gilt, daß er nämlich von der subjektiven Intention ausgehe, so verschränkt in solchem Vorwurf Recht sich mit Unrecht. Daß es bloße Ideologie sei, den Grund des Unheils etwa in einem Bewußtseinsphänomen wie der ursprünglich von Lukács selber als philosophische Kategorie eingeführten ›Heimatlosigkeit‹ zu suchen, ist unbestritten und ebenso, daß alle die als Befindlichkeiten des Daseins von Heidegger urgierten Typen subjektiver Erfahrung nicht den Grund des perennierenden Unheils, sondern bloße Reflexionsformen der gesellschaftlichen Objektivität bezeichnen. Lukács schreibt mit Recht die Erkenntnis jener tragenden Objektivität der politischen Ökonomie dem Marxismus zu. Aber es gehört wesentlich zu der Totalität zumal der spätbürgerlichen Gesellschaft, daß die objektive Negativität als subjektives Leiden, und zwar über die Klassengrenzen hinweg, erfahren wird und daß eine Erkenntnis, die sich beim Wertgesetz und der Überakkumulation bescheidet und von jenem Leiden absieht, kaum weniger der Inhumanität schuldig wird als Heidegger, dem Lukács mit Grund vorhält, daß er die »jungen Deutschen« im Zweiten Krieg »angesichts des Todes«, also in einer reinen Befindlichkeit, von dem Grauen ausnimmt, das sie über die Welt brachten (vgl. 39). So wenig dem Leiden der genetische Vorrang vor der Unmenschlichkeit der Welt zuzuschreiben ist, so wenig hilft eine Erkenntnis, die das Grauen der Welt unter Abstraktion von jenen subjektiven Erfahrungen nimmt, in denen es erst zum Grauen wird, und unter den Versuchen, der Höllenmaschine des Monopolismus sich zu erwehren, ist theoretisch nicht der schlechteste, sich auf den Niederschlag zu besinnen, den das Grauen im Subjekt findet, in solcher Besinnung aber der Subjektivität mächtig zu bleiben und damit zur objektiven Voraussetzung des Widerstands beizutragen. In der von der Spätindustrie zusammengeschlossenen Gesellschaft vermag sehr wohl, was Lukács als ›bloße Intention‹ verächtlich beiseite schiebt, des in der Theorie Erkannten angemessen habhaft zu werden und ihm durch Zueignung und Erfahrung etwas von eben jener Autorität zu rauben, die es als bloßer Gegenstand der Erkenntnis behält. Erkenntnis, die solchen Momentes von Erfahrung sich entschlägt, geht dadurch nicht ohne weiteres in höhere Objektivität über, sondern viel eher in Fachwissenschaft, Verdinglichung, Desinteressement an den Menschen, deren Emanzipation von der »unfruchtbaren Gewalt des bloß Seienden« allein den marxistischen Materialismus gegenüber dem Idealismus legitimiert. Lukács glorifiziert die historische Objektivität nicht bloß zur Entzauberung der Lüge vom subjektiven An sich Sein der in Wahrheit unter gesellschaftlichem Zwang verinnerlichten Antagonismen, sondern weil er, nach alter Philosophenweise, im Blick auf die Totalität über das Leiden rasch sich beruhigt: »Alle Widersprüche des kapitalistischen Systems werden dabei ans Licht gebracht, aber mag das so Erhellte noch so fürchterlich, noch so antihuman, noch so bekämpfenswert sein, diese Eigenschaften des Kapitalismus sind doch immer nur als Momente seiner objektiven Existenz in der Totalität der Weltgeschichte gefaßt, und das Problem seiner Fortschrittlichkeit kann nur in diesem Gesamtzusammenhang geklärt werden.« (43) Materialistisch interpretiert besagt aber ein solcher Satz nichts anderes, als daß das Leiden ungemindert fortwährt unter der neuen Gestalt der Herrschaft, die Lukács mit deren Abschaffung verwechselt.
Die Behauptung, daß Lukács aus Angst vor der Ontologie ins verdinglichte Bewußtsein zurückfällt, ist zu erhärten an der Sprache. Diese verbleibt im akademischen Jargon, im ›Gespräch‹ der offiziellen zeitgenössischen Philosophie, und hebt davon sich ab nicht durch verantwortlichere, aus der Beziehung auf den Gegenstand geschöpfte Gestalt, sondern durch eine Schlamperei, wie sie der behaglich-hochtrabenden Sprachverwilderung deutscher Professoren um die Jahrhundertwende entspricht. Während der Inhalt dem herrschenden Denken opponiert, bezeugt die Form unmäßigen Respekt vor dem Betrieb; während etwa Sartre vorgeworfen wird, daß er »alle alten und banalen Privatdozentenargumente gegen den Marxismus erneuert« (41), wird von Heidegger gesagt, daß er »direkt Bezug auf Marx« nehme »und dabei zu äußerst interessanten Ergebnissen« komme (40). Überhaupt ist das Wort ›interessant‹, Siegel des saloppen Journalismus, ein Favorit der
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