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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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auszubrechen weder möglich noch wünschbar sei. Hinter dem Schein des Respekts verbirgt sich der Wille, zu suggerieren, was und wie ich schreibe, sei gebunden an die Person und ihre Zufälligkeit. Solche zumal, die sonst auf Tradition erpicht sind, suchen die Tradition zu unterbinden, die an meine Veröffentlichungen sich anzuschließen droht. Daß in der gegenwärtigen Situation das, was man früher die Bildung einer Schule nannte, legitimerweise eben von dem ausgehen könnte, was nicht mitspielt und statt dessen rücksichtslos aufs spezifisch als wahr Erfahrene drängt, ist den um meine Unverwechselbarkeit Besorgten fremd. Vielfach reagieren sie einfach die Rancune, die meine Publikationen in ihnen erwecken, an denen ab, die sie für wehrloser halten. Ohne daß ich im leisesten dazu neigte, mich als Verfolgten zu fühlen, bemerke ich so viele Symptome dieser Verhaltensweise, daß ich es mir nicht verbieten lassen möchte, die Leistung eines Menschen hervorzuheben, der die billige Weltklugheit verschmäht, in der Gestalt seiner Produktion deren geistige Herkunft zu verleugnen. Die Schrift Schweppenhäusers bietet dazu um so günstigeren Anlaß, als ihre Erkenntnisse wesentlich über das hinausgehen, was ich selbst im Kierkegaardbuch aus meiner Jugend gesehen und formuliert habe.
    Der philosophiegeschichtliche Einfluß der Kritik, die Kierkegaard an Hegel, besonders in der »Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift«, doch eigentlich in allen nicht-theologischen Schriften seit »Entweder/Oder« übte, läßt sich schwer überschätzen. Nach dem Niedergang der Hegelschen Schule und auch lange nach Schopenhauers Angriffen wurden die Einwände Kierkegaards als so durchschlagend empfunden, daß man glaubte, mit den schwierigen Haupttexten des objektiven Idealismus gar nicht mehr sich abgeben zu müssen. Strömungen wie die dialektische Theologie und die Existentialphilosophie wären zunächst kaum denkbar gewesen, hätten sie nicht stillschweigend Kierkegaards Thesen gegen Hegel als gültig unterstellt. Ob Kierkegaard Hegel auch nur richtig verstand, wurde nicht einmal gefragt; daß seine Polemik zentrale Begriffe posthum von dem erkorenen Gegner entlehnte, hat so wenig an seinem Verdikt irregemacht wie die Abschnitte über Wesen und Existenz im zweiten Band von Hegels Wissenschaft der Logik, die doch bezeugen, daß er die absolute Idee nicht als abstrakten Gegensatz zur Existenz verstanden wissen wollte, sondern gerade diese, das Moment des Nichtidentischen, inmitten der Identität zu dem Ihren bringen. Die Revision des Prozesses Kierkegaard contra Hegel ist nicht nur geistesgeschichtlich fällig, sondern nach Kierkegaards historischem Triumph philosophisch-sachlich gefordert. Dem hat Schweppenhäuser so energisch wie bedachtsam sich gestellt.
    Sachgemäß gliedert sich sein Buch in zwei Schichten, die allerdings nicht mechanisch voneinander sich abheben lassen. Die eine betrifft Kierkegaards Hegelverständnis, die andere die philosophische Triftigkeit seiner Beweisführung.
    Zur Frage des Hegelverständnisses liegt bislang nur ein kleiner, nicht wesentlich kritischer Aufsatz theologischer Haltung von Richard Kroner vor. Schweppenhäuser nun zeigt bis ins einzelne, daß Kierkegaard die Idee der Dialektik, des spekulativen Begriffs, der Vermittlung – von Kierkegaard Mediation genannt – und vieles andere von Grund auf fehlinterpretierte. Kern der Beweisführung ist, Kierkegaard habe, ohne die von Hegel durchgeführte Kritik der traditionellen Logik, des Identitäts- und Widerspruchsprinzips mitzuvollziehen, ihn nach dessen Maß kritisiert, also ihn ungebrochen an eben der Methode gemessen, die von der Dialektik aufgehoben ward.
    Dabei jedoch bleibt es nicht. Schweppenhäuser tut dar, daß die entscheidenden Kategorien Kierkegaards, ihrem eigenen Sinn nach, nicht derart als Letztes zugrunde gelegt werden können, wie Kierkegaard es versuchte. Sichtbar wird, daß Kierkegaards eigene Lehre vom Nichtaufgehen der Existenz in den begrifflichen Bestimmungen der Metaphysik ihrerseits notwendiges Moment des Prozesses ist, den die Hegelsche Logik darstellt. Aus deren Zusammenhang isoliert und absolut gesetzt, nehmen die von Kierkegaard Hegel scheinbar so schroff entgegengesetzten Kategorien etwas Dogmatisches und Vorkritisches an. Hegels oberster Begriff, eben der der absoluten Idee, wird mit einem Gewaltakt der Dialektik entrissen und in ein statisches Ansichsein umgedeutet. Kierkegaard verkennt, daß das Heterogene,

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