Gesammelte Werke
haben. Es wurde erwähnt, daß die rudimentäre Erinnerung sich nicht bloß auf einzelne Erlebnisse, sondern ebensowohl auch auf Komplexe beziehen kann; also auf Zusammenhänge, die ihrerseits wieder auf Grund von Gestaltqualitäten konstituiert sind. Soweit nun diese Komplexe Sukzessivkomplexe sind; also in den Fällen, in denen uns durch ein Erlebnis a rudimentär gegeben ist die Erinnerung an einen Sukzessivkomplex a-b, bzw. an a mit der Gestaltqualität, die es zu dem folgenden b in Beziehung setzt, erwarten wir, falls wir Ähnlichkeit zwischen a und a rudimentär erkennen, die Folge eines dem Gliede b ähnlichen Gliedes b auf a. Soweit sich nun das Eintreten des erwarteten Phänomens b als regelhaft erweist, setzen wir den Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Erlebnis, dem vergangenen Komplex und dem erwarteten Phänomen als durchgehend verifizierbar an und bilden das Gesetz, es müsse überall und immer, wo uns durch a in rudimentärer Erinnerung der Komplex a-b und die Erkenntnis der Ähnlichkeit a-a gegeben ist, b eintreten. Da wir nach den eingangs getroffenen Bestimmungen vom objektiv räumlichen Sein abzusehen haben, so ist dieses Gesetz oder, was dasselbe besagt, das
Ding,
dessen Phänomen a und b sind, ein
psychisches
Ding. Wir bezeichnen psychische Dinge von der Form der dargestellten Gesetzmäßigkeit als unsere
Eigenschaften,
unsere
Dispositionen,
etwa auch unsere
Stimmungen;
wobei die Abgrenzung jener Begriffe, sollte sie in Schärfe überhaupt möglich sein, hier nicht unsere Aufgabe ist; es mag der Hinweis genügen, daß man herkömmlicherweise unter Eigenschaften und Dispositionen die konstanteren, unter Stimmungen die variableren Seelendinge versteht; da aber aus allgemeinen erkenntnistheoretischen Gründen auch den Eigenschaften keineswegs Konstanz schlechthin zukommt, so relativiert sich der Unterschied ohnehin. Ein weiterer Unterschied, der die Eigenschaften als »notwendig« aus der Persönlichkeit ableitet, während nach jener Auffassung die Stimmungen »zufällig« sein sollen, kommt für unsere Auffassung nicht in Betracht. Denn wir haben ja nicht von der Persönlichkeit im Sinne des ontologisch vorgezeichneten Charakters als einer Konstanten auszugehen, sondern allein vom Bewußtseinszusammenhang, der gebildet wird von den Erlebnissen, deren Zusammenhang wir seiner psychologischen Struktur nach als Eigenschaft oder Disposition benennen; der »Charakter«, wofern man auf den übermäßig äquivoken Ausdruck nicht lieber ganz verzichten will, wäre uns nichts anderes als der totale Zusammenhang der Eigenschaften im empirischen Ich, so daß die Eigenschaften – und ihr etwa erweisbarer Zusammenhang – unter allen Umständen gegenüber dem Begriff des Charakters ein Prius bedeuten und keinesfalls vom Begriff des Charakters aus konstruiert werden dürfen. Damit entfällt auch die Rede von der differenten Zufälligkeit und Notwendigkeit der Eigenschaften und Stimmungen. Beide sind uns, da wir die Gesetzmäßigkeit des Bewußtseinszusammenhanges als eine allseitige anerkennen, in gleichem Maße notwendig; beide Male aber können uns die Bedingungen zur vollständigen Erkenntnis jener Notwendigkeit nicht allesamt gegeben sein. Der Unterschied zwischen dem Begriff der Dispositionen endlich und dem der Eigenschaften deutet zurück auf den alten Streit um den Nativismus. Dispositionen sollen angeboren, Eigenschaften sollen erworben sein. Da man indessen nicht das naturalistische Ding vorauszusetzen berechtigt ist, sondern allein dem Erlebniszusammenhang nachzuforschen hat, so ist keineswegs abzusehen, warum nicht Dispositionen ebensogut erworben sein sollen. Bezeichnenderweise ist denn auch hier der Sprachgebrauch lax genug, und häufig werden Dispositionen als erworben, Eigenschaften als angeboren bezeichnet. Es ist nicht unsere Aufgabe, müßige und willkürliche Phänomenologien – terminologische Festsetzungen in Wahrheit – zu treiben. Wichtig vielmehr für uns ist: daß die genannten Begriffe Dingbegriffe sind; daß überall, wo wir von Eigenschaften, Dispositionen, Stimmungen reden, das Eintreffen bestimmter Phänomene, Phänomene eben dieser Eigenschaften, gesetzmäßig erwartet werden; daß im Falle des Nichteintretens der betreffenden Phänomene die Dingbegriffe der Korrektur unterstehen und uns die Aufgabe zuwächst, entweder die betreffenden Begriffe als falsch zu eliminieren oder, wofern sie sich außer in dem bestimmten Fall als berechtigt erwiesen haben, die Gesetzlichkeit der
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