Gesammelte Werke
an, die einzelnen Phänomene isoliert zur Erinnerung zu bringen, was ohnehin gar nicht anginge, sondern ihren gesetzmäßigen Zusammenhang. Aber doch eben einen gesetzmäßigen Zusammenhang
unterschiedener
Phänomene, wobei die Durchführung der Unterscheidungen zu den wesentlichen und unumgänglichen Aufgaben wissenschaftlicher Erkenntnis rechnet. Ursprünglich gegeben ist uns die Ganzheit des Bewußtseinsverlaufs; diesen Bewußtseinsverlauf als eine Ganzheit zu verstehen und seine Strukturen als objektiv gültig zu erkennen, setzt allseitige Unterscheidungen voraus. Die Forderung aber, bei der Erinnerung an unbewußte Tatbestände die einzelnen Teile dieser Tatbestände von einander zu unterscheiden und zugleich die Gesetze ihrer Verknüpfung zu begreifen, heißt nichts anderes als eine Analyse eines unbewußten Tatbestandes vollziehen. Das Ganze des phänomenalen Bewußtseinsverlaufs und darüber hinaus das empirische Ich in dem von uns eingehend diskutierten Sinn bleibt dabei voll bestehen. Und die Analyse mag je und je zu inhaltlichen Einsichten in die Beschaffenheit jenes Ich führen, ihre Erkenntnisse unter neuen, kritisch geklärten Begriffen zusammenfassen, aber ihre Erkenntnisabsicht, so wie sie durch den Zwang des Rekurses auf die Phänomene, das »Bewußte« sich darstellt, ist doch wesentlich die Zerlegung des Bewußtseinsverlaufs. Die Erkenntnis des Unbewußten geht vom Ganzen auf die Teile, und dem wissenschaftlichen Erkenntnisstreben ist Genüge getan, wenn die Ordnung der Teile auf Grund der Kenntnis der Gesetzmäßigkeit ihres Zusammenhanges aufgewiesen ist. Als allgemeinstes Ordnungsprinzip dafür gilt dann der Begriff des empirischen Ich. Aber man begeht ein hysteron proteron, wenn man als Erkenntnisziel die Darstellung eben jenes unmittelbaren Zusammenhanges hinstellt, der den Ausgang all unserer Untersuchung bildet und der durch jegliche Interpretation – wahrlich auch die phänomenologische und gestalttheoretische – notwendig verändert wird. Die Unsinnigkeit einer Rede von »Psychosynthese« läge hier offen zutage, selbst wenn nicht die lediglich aus Worten geschöpfte Antithetik des Begriffs zur Psychoanalyse zur Skepsis mahnte; einer Skepsis, die sich sogleich bestätigt, wenn man den Zusammenhang jenes modischen Begriffes mit der Tendenz bedenkt, anstelle des kritisch geklärten Ichbegriffs einen mythologisch transzendenten zu setzen, der freilich Analyse nicht verträgt, weil es ihn nicht gibt, und der der Synthese bedarf, um zusammenphantasiert zu werden. Die Abweisung der ontologischen Charakterologie bestätigt sich uns damit unter einem neuen Gesichtspunkt. Es ist gleichzeitig erstmals der Ansatz gewonnen für unsere Behandlung der Psychoanalyse als einer Erkenntnismethode zur Bewältigung der unbewußten Tatbestände. Sie bedeutet uns nichts anderes als die Reduktion der unbewußten Tatbestände auf einfache Erinnerung, die Zerlegung der unbewußten Tatbestände in ihre konstitutiven Elemente – wohlverstanden: auch der Bestimmungen, die nicht einem Element allein zukommen, sondern den Zusammenhang der Elemente ausmachen –, die systematische Ordnung dieser Elemente und endlich den Aufweis der Gesetzlichkeit ihres Zusammenhanges. Diese Forderungen sind sämtlich allein auf Grund unserer allgemeinsten Bestimmungen über den Begriff des Unbewußten gewonnen, und die konkrete psychoanalytische Forschung ist uns hier nur Beispiel für die Möglichkeit der Erfüllung jener Forderung; die Wahl der Psychoanalyse gerade als Beispiel freilich kein Zufall, sondern bestimmt sowohl durch den allgemeinen erkenntnistheoretischen Zusammenhang, in dem gerade die Psychoanalyse mit unseren Untersuchungen sich befindet, wie durch die Tendenz der
Aufklärung
des Unbewußten, des Begriffs des Unbewußten sowohl wie der einzelnen unter ihm befaßten unbewußten Tatbestände – eine Tendenz, die wir mit der Psychoanalyse radikal teilen. Ehe wir jedoch diesen Zusammenhängen uns zuwenden, haben wir die Differenzierung unseres noch allzu weiträumigen Begriffs des Unbewußten zu vollziehen. Es sei zuvor nochmals auf unsere Definition verwiesen: es heißen uns unbewußt alle psychischen Tatsachen im prägnanten Sinn, die wir als unabhängig von unserer gegenwärtigen Wahrnehmung oder unserer klaren und deutlichen Erinnerung gesetzmäßig als bestehend denken müssen.
Der allgemeinste und primitivste Tatbestand, den wir als unbewußt zu bezeichnen haben, ist das »Gefühl der Einheit«, von dem oben
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