Gesammelte Werke
Tatbestände zu sein. Die Veränderung, die dadurch notwendig mit den »unbewußten« Tatbeständen vor sich geht, als illegitime Rationalisierung zu bezeichnen, geht nicht an und setzt einen naiven oder transzendental-realistischen Standpunkt voraus, der die Seelendinge unabhängig von ihrer bewußtseinsmäßigen Konstitution denkt; während nach unserer Auffassung »an irgend einem gegebenen Bewußtseinsinhalte« sich »nichts analysieren läßt, ohne daß an die Stelle dieses Bewußtseinsinhaltes etwas
Neues
träte« 20 . Man muß, um der Konfusion zu entgehen, daß der Begriff des Unbewußten eine Form der Erkenntnis sei, während wir Unbewußtes nur erkennen können, indem wir es uns bewußt machen, klar unterscheiden zwischen der allgemeinen Bestimmung von Gegebenheiten als unbewußten, die auf Grund unserer Kenntnis des Dingmechanismus psychischen Zusammenhängen Geltung unabhängig von ihrer gegenwärtigen Wahrnehmung zuspricht und mit dieser Anwendung des Dingbegriffs auf die psychischen Tatbestände eine höchst legitime Erkenntnisleistung vollbringt; und andererseits der Erkenntnis der
einzelnen
unbewußten Tatsachen, die ebenso wie die Erkenntnis von Raumdingen nur durch den Rekurs auf die Phänomene und ihren gesetzmäßig einsichtigen Zusammenhang, also durch Bewußtsein im vorher umgrenzten prägnanten Sinn zu leisten ist. Der Begriff des Unbewußten ist eine allgemeine Form unserer Erkenntnis wie der Begriff des Dinges auch; die Form nämlich, unter der wir den gesetzmäßigen Fortbestand des Psychischen unabhängig von unserer Wahrnehmung notwendig befassen. Die Erkenntnis der unbewußten Tatbestände aber ist gleichbedeutend mit ihrer Bewußtmachung. So wie die Kenntnis der Raumdinge allein auf Grund der Kenntnis ihrer Phänomene sich uns ergibt, während wir doch, da uns mit den Phänomenen auch deren Gesetzmäßigkeit gegeben ist, vom Bestand der Dinge unabhängig von der Wahrnehmung reden, so ist uns die Kenntnis der Seelendinge und aller unbewußten Tatsachen – auch der noch nicht verdinglichten – auf Grund ihrer Phänomene, mithin des »Bewußtseins von ihnen«, der intentionalen Funktion gegeben; während wir gleichwohl, auf Grund unserer Kenntnis des
gesetzmäßigen
Zusammenhanges der Phänomene, berechtigt sind, vom Bestand jener Zusammenhänge unabhängig von unserer Wahrnehmung, von »Bewußtsein« im prägnanten Sinn, zu sprechen, also ihre »Unbewußtheit« positiv zu behaupten; die Erkenntnis der Tatbestände selbst aber läßt sich nur durch fortschreitende Erkenntnis ihrer Phänomene und ihrer Zusammenhänge gewinnen. Mit dieser bündigen Feststellung ist der letzte Schein einer Paradoxie zwischen dem Unbewußten als Erkenntnisform und der Erkenntnis des Unbewußten durch Bewußtsein getilgt. Bewußtsein heißt uns dabei nicht irgendeine vage Intuition, sondern Erkenntnis einzelner Merkmale und ihres Zusammenhanges, so wie sie in jeder wissenschaftlichen Begriffsbildung allgemein gefordert ist. Unsere erste Forderung, die wir auf Grund der obersten Gesetzmäßigkeit des Unbewußten ableiten, ist sonach die, eine Merkmalsystematik der unbewußten Tatbestände, die eins mit der Kenntnis der gesetzlichen Formen ihres Zusammenhanges ist, jeweils zu liefern. Das Fundament dieser Systematik ist die klar einsichtige Erinnerung. Einen anderen Weg, der unbewußten Tatbestände als eines gesicherten Erkenntnisbesitzes habhaft zu werden, haben wir nicht, und die intuitionistische Forderung, ihrer, weil sie selbst unbewußt sind, unbewußt habhaft zu werden, übersieht nicht nur die Unmöglichkeit irgendeiner Erkenntnis, die zugleich wissenschaftlich und unbewußt wäre, sondern auch, daß das Unbewußte selbst allein auf Grund von Bewußtem aufgebaut ist, und daß wir, um seinen Aufbau zu verstehen, selbst auch notwendig auf Bewußtes zu rekurrieren haben; also gewissermaßen in der deutlichen Erinnerung den Weg reproduzieren müssen, den der Bewußtseinszusammenhang vor unserer Analyse mit rudimentärer Erinnerung, metaphorisch gesprochen, »leistete«. Damit ist zugleich unsere zweite Forderung begründet. Sie erheischt um der Erkenntnis des Unbewußten willen die Analyse der unbewußten Tatbestände. Diese Analyse, gewiß, »besteht ... nicht in einer Erkenntnis jenes einzelnen Bewußtseinstatbestandes, – der als solcher überhaupt keine Analyse zuläßt –, sondern in der Erkenntnis des gesetzmäßigen Zusammenhanges verschiedener solcher Tatbestände« 21 : d.h. es kommt nicht darauf
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