Gesammelte Werke
sie selbst nie Erlebnisse waren; da sie also nie in unserem oben definierten prägnanten Sinn bewußt sein können, nennen wir sie
dauernd
unbewußt. Aber ihre Unbewußtheit ist nicht identisch mit ihrer Unerkennbarkeit. Wir können sie nach Merkmalen fortschreitend erkennen, über ihre Existenz uns nach Maßgabe des Eintretens oder Nichteintretens der erwarteten Phänomene Gewißheit verschaffen und ihre Veränderungen in höhere Gesetzmäßigkeiten einordnen. Unerkennbar sind sie uns nur insoweit, wie uns alles dingliche Sein unbekannt ist: die Möglichkeit der Erkenntnis neuer Eigenschaften ist prinzipiell nicht als abgeschlossen zu denken. Für die unbewußten Gegenstände der ersten Kategorie fallen selbstverständlich auch diese Gründe der Unbekanntheit ganz fort. Sie können uns prinzipiell vollständig bekannt sein. Die allgemeine Regel für die Erkenntnis des Unbewußten bietet uns jeweils die Kenntnis der Zusammenhänge, denen die unbewußten Tatsachen sich einordnen; die uns bekannt sind und durch die uns die unbewußten Tatbestände mittelbar gegeben werden.
Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung des Begriffs des Unbewußten, nach seiner zureichenden Differenzierung, in kurzen und verbindlichen Thesen zusammen.
Zunächst die Ergebnisse hinsichtlich des
dinglichen
unbewußten Seins: wie die Erscheinungen zum Ding, so verhält hier das Bewußte sich zum Unbewußten. Wie Ding und Erscheinung dem Immanenzzusammenhang angehören, nur durch die Art unserer Begriffsbildung sich unterscheiden, so gehört auch Bewußtes und Unbewußtes dem Immanenzzusammenhang unseres Bewußtseins an. Beide unterscheiden sich nur durch die Modi der Begriffsbildung. Eine ontologische Disjunktion zwischen ihnen ist nicht zulässig.
Dinge können als solche nie unmittelbar gegeben sein. Jene von uns als unbewußt qualifizierten, auf Grund eines Erwartungszusammenhanges, dessen Bedingungen wir erfüllen können, objektiv gültigen gesetzmäßigen Zusammenhänge sind Dinge. Sie können nicht unmittelbar, sondern bloß in symbolischer Funktion gegeben sein. Insofern heißen sie unbewußt.
Die gesetzmäßigen Zusammenhänge sind konstituiert auf Grund der unmittelbaren Gegebenheit. Sie haben Gültigkeit allein für den Zusammenhang des Gegebenen und weisen sich aus allein in ihm. In ihrer Gesetzlichkeit sind sie auf Grund der Bedingungen des Erkennens einsichtig und bekannt. Daraus folgt: Unbewußtes ist in keinem gründenden Sinne eine »Transzendenz« gegenüber dem Bewußtsein, sondern als empirisch gültiger psychischer Zusammenhang erkennbar. Der Aufbau des Unbewußten als eines Dinglichen erfolgt lediglich auf Grund des Bewußten im prägnanten Sinn, nämlich unserer Erlebnisse, und ist uns als gesetzmäßiger Zusammenhang von Erlebnissen bekannt.
Da die volle Mannigfaltigkeit der Erscheinungen des Dinges – der Erlebnisse, die dem betreffenden Individualgesetz unterstehen – nicht vorausbestimmbar, sondern von der Erfahrung abhängig ist in der Weise, daß unser Bewußtsein hier keine Grenze a priori setzen kann außer der Definition des Dinges, dem die Phänomene eingeordnet werden, so sind die Dinge wiederum in einem bestimmten Sinne unbekannt und als psychische Zusammenhänge auch dauernd unbewußt. Diese Unbewußtheit ist gleichbedeutend damit, daß für den Fortgang unserer Erfahrung keine Grenze vorgezeichnet ist. Wir definieren sie, da der Terminus »dauernde Unbewußtheit« bereits für die Wahrnehmungsunabhängigkeit der unbewußten Gegenstände der zweiten Kategorie beschlagnahmt ist, als
psychische Irrationalität
und betrachten das Unbewußte als
Aufgabe
der Psychologie, der prinzipiell keine Grenze gesetzt ist, die aber in gesetzmäßiger, nämlich von der Dinggesetzlichkeit vorgezeichneter Weise in Angriff genommen werden kann und deren Durchführung, soweit die Subjektsbegriffe definiert sind, die Definitionen festgehalten werden und die fundierenden Existentialurteile zu Recht bestehen, zu objektiv gültigen Ergebnissen führt.
Die transzendentale Struktur der Erfüllung jener Aufgabe soll dort aufgewiesen werden, wo bislang allein die Aufgabe in dem hier formulierten exakten Sinn in Angriff genommen wurde: an der Psychoanalyse. Eine allgemeine Begründung der Wahl gerade jener jungen Disziplin als Gegenstand erkenntnistheoretischer Interpretation wird zu leisten sein. Der entscheidende Unterschied unserer Auffassung der psychologischen Irrationalität vom herkömmlichen
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