Gesang der Rosen
begehrtes schönes Gesicht barg.
In Jeanette klangen die wehen Worte der Mutter noch nach. Die Idee, André auf den Hügeln zu suchen und ihm für das Gedicht zu danken, kam ihr nicht mehr, und auch der rasche Gedanke, das Fahrrad hervorzuholen und eine Spazierfahrt zu machen, wich bald wieder einer fremden Angst, die in ihrem Gemüt von den Worten der Mutter wachgerufen worden war.
Ist es so schlimm, wenn André mich in seine Arme nimmt und küßt? dachte sie und schlenderte über den Hof der breiten, hohen Scheune zu, die rechtwinkelig zum Wohnhaus an einem großen Hof zusammen mit einigen Stallungen lag. Es lockt mich etwas dazu, meine Arme auszubreiten, grübelte sie, und dieser Drang, der doch so schön ist, soll Unglück bringen?
Sie öffnete das breite Scheunentor und schlüpfte hinein. Bis unters Dach gehäuft, lagerten die Ballen Heu und Stroh. Hoch oben neben einem Balken des gestützten Daches hatte Jeanette sich unter einer Luke einen Platz im Stroh geschaffen, an dem sie, ungestört vom lauten Treiben dieser Welt, ihren Träumen nachhängen oder auch ihre Probleme überdenken konnte. Manche Träne von ihr hatte schon das knisternde Lager benetzt, wenn sie, von Schlägen matt, dem Vater entflohen war und hier schluchzend kurze Ruhe gefunden hatte.
Auch heute kletterte sie auf einer steilen Leiter zu dem hohen Lager empor, von dem sie durch die Luke hinausblicken konnte zu den Hügelkuppen, auf denen jetzt André sicher in seiner so geliebten Sonne lag und auf sie wartete. Kauernd ließ sie sich auf das niedergetretene Stroh nieder, warf sich dann mit einem Seufzer zurück auf das knisternde Bett, schob die Hände unter die Locken und schloß die Augen. Das Kleid war ihr bis zu den Schenkeln hochgerutscht, so daß die Beine nackt im goldenen Stroh lagen.
»Jeanette …«
Flüsterte da nicht eine Stimme? Jeanette wagte nicht, die Augen zu öffnen. Sie lauschte angespannt, hielt den Atem an, obgleich der Puls rasend zu klopfen begann. Knackte es nicht im Stroh, kam da nicht jemand näher?
»Jeanette …«
»André?« fragte sie zurück und öffnete langsam die Augen.
Da stand er, über sie gebeugt, groß, ein wenig verwirrt. Die Haare hingen ihm über die glänzenden Augen, das Hemd war am Hals geöffnet und ließ ein Stück der braunen Brust frei. Wie stark er aussieht, dachte das Mädchen, fast ist er schon ein Mann. Das vielfach gebrochene Licht huschte über ihn hin, flimmernder Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Bretterwand drangen.
»Ich habe auf dich gewartet, Jeanette«, sagte André leise. »Ich wußte, daß du kommen würdest. – Du hast das Gedicht gefunden?«
»Ja, André.«
Jeanette blickte ihn, ohne sich zu rühren, unverwandt mit, großen Augen an. Er sprach rauh und spröde, irgend etwas schien ihm in der Kehle zu sitzen. Sein Körper hatte das Jungenhafte verloren, war härter, fordernder geworden.
»Ich habe wieder ein neues abgeschrieben«, sagte der Küstersohn, während sein Blick über die nackten Beine, die Schenkel, den Leib, die junge, bebende Brust bis zum vor Erregung leicht zuckenden Gesicht des Mädchens glitt. »Du bist so schön«, flüsterte er, »und ich will es dir zuliebe ›Gesang der Rosen‹ nennen … weil du wie eine Rose bist, wenn du lächelst und deine Augen so dunkel sind.«
Ein leises Zittern ging durch seine Gestalt, er sank neben Jeanette auf die Knie, zog die Lächelnde zu sich empor und preßte ihren Kopf an seine Brust.
»Der Schlußvers fehlt mir«, stammelte er. »Ich komme nicht weiter, es ist leer in meinem Kopf, ausgedörrt, als habe die Sonne alles versengt. Ich fühle es, ich sehe den Vers vor meinen Augen … doch schreiben kann ich ihn nicht. Es liegt eine Schlucht dazwischen … Dunkelheit. Oh, eine grauenvolle Ohnmacht ist das!« Er riß den Körper des Mädchens an sich und tastete mit heißen, bebenden Händen über Schulter und Brust. »Du mußt mir helfen, Jeanette«, flüsterte er, und sein Atem war heiß vor Erregung. »Hörst du, du mußt mir helfen. Kraft mußt du mir geben … Licht … Wärme … Glück … ja, Glück.«
Langsam ließ er den Körper nach hinten ins Stroh sinken, sank selbst auch mit, bis er, Jeanette in seinen Armen, das raschelnde Lager unter seinen Handrücken spürte. Er sah in ihre weit aufgerissenen Augen, die lockten und abwiesen, baten und schreckten, warteten und flohen. Zögernd erst, dann härter stießen seine Knie an ihre warmen, nackten Schenkel, seine Hände glitten
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