Geschichte der deutschen Sprache
wesentlich mitbestimmen. Das Neuhochdeutsche ist diejenige Periode, in der es dann unter anderem auch auf der Grundlage der allgemein anerkannten Dichtungssprache der Weimarer Klassik oderauf Grund der vielfältigen Bemühungen von Sprachpflegern und -gelehrten zur Ausbildung eines sprachlichen Standards kommt und die deutschen Fach- und Wissenschaftssprachen zum Teil internationale Anerkennung finden; die Bedeutung des Lateinischen geht dabei deutlich, wenn auch nicht ganz zurück. Im Zuge der Verbreitung der Massenpresse und des Hörfunks im 19. bzw. 20. Jahrhundert gewinnt der öffentliche Sprachgebrauch vor einem großen Publikum eine zunehmende Bedeutung, sodass sich so etwas wie eine Öffentlichkeitssprache sowie eine Sprache der Massenmedien herausbilden. Im Zuge dieser Entwicklung geraten die deutschen Mundarten zunehmend unter Druck, ändern ihre Funktion und zeigen bisweilen erste Ansätze zu einer überregionalen Vereinheitlichung, die sich dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fortsetzt. Spätestens seit diesem Zeitraum ist denn auch so etwas wie eine deutsche Umgangssprache anzusetzen, die irgendwo zwischen der Standardsprache und den einzelnen Dialekten anzusiedeln ist und bis zur Jahrtausendwende zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Auch wenn das Neuhochdeutsche zahlreiche regionale, soziale und funktionale Sprachvarietäten aufweist, so ist dessen sprachliches System vor allem im Hinblick auf die Literatur- bzw. Standardsprache von Interesse. Hierbei sind einige Systemmerkmale des Neuhochdeutschen hervorzuheben (vgl. die folgende Tabelle). Diese bestehen auf den Ebenen der Lautung im Wesentlichen in einer verbindlichen Festlegung von neuhochdeutschen Varianten, die nun eine breite regionale und funktionale Gültigkeit besitzen. Im Bereich der Formbildung setzt sich die historische Tendenz zum Abbau synthetischer Formen und zum Ausbau analytischer Umschreibungen weiter fort und findet, wie auch die weitgehend verbindliche Wort- und Satzgliedstellung, ebenfalls ihren Niederschlag in einer deskriptiven und normativen Grammatikschreibung. Auffällig ist die deutliche Zunahme an Wortbildungen im Neuhochdeutschen (die auch als Kompensation für den Formenabbau aufgefasst werden kann). Der Wortschatz der neuhochdeutschen Standardsprache zeichnet sich durch eineim Vergleich zu anderen sprachlichen Varietäten große Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten aus. Dies liegt daran, dass er zahlreiche Wörter und Begriffe aus solchen fachlichen und anderen Bereichen enthält, die für die allgemeine Kommunikation in großen Teilen der Bevölkerung von besonderer Bedeutung sind; dies gilt auch für Entlehnungen aus dem Französischen und aus dem Englischen, die sich meist auf etwas beziehen, das aus dem entsprechenden Sprachraum in das Deutsche gelangt.
Neuhochdeutsch
Sprachsystematische Merkmale (Auswahl)
Lautung
Standardisierung der Aussprache (im öffentlichen Sprachgebrauch)
Schreibung
Herausbildung einer vereinheitlichten Orthographie
Form- und Wortbildung
historisch relative Armut an synthetischen Wortformen und Reichtum an analytischen Umschreibungen
stark ausgeprägte Wortbildung, insbesondere im Bereich der Komposition (mehrgliedrige Zusammensetzungen)
Satzbau
historisch relativ feste Regelung der Wort- und Satzgliedfolge (verhältnismäßig feste Satzkonstruktionen)
Wortschatz
Beeinflussung durch die Aufklärung und zahlreiche andere geistesgeschichtliche Strömungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Verwissenschaftlichung und Technisierung (der Standardsprache durch die Fachsprachen)
Popularisierung (der Literatur- bzw. Standardsprache in weiten Bevölkerungsteilen)
Interferenz
Einflüsse aus dem Französischen (17./18. Jahrhundert) und aus dem Englischen (19./20. Jahrhundert)
6.6 Gegenwartssprache
Ob mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Periode der deutschen Sprachgeschichte beginnt, ist und bleibt umstritten: Diese Frage wird sich erst in einigen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten klären lassen. Fest steht jedoch, dass das Deutschenach 1945 einige wichtige Veränderungen zeigt, die belegen, dass seine Geschichte noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern sich in einem fortwährenden Entwicklungsprozess befindet. Auch diese sprachlichen Veränderungen sind auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen, wobei die moderne Massengesellschaft als Träger der sprachlichen Entwicklung erscheint: Es sind heute kaum mehr einzelne soziale Gruppen allein, von denen merkliche
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