Geschichte der deutschen Sprache
ritterlich-höfische Kultur und Entlehnungen)
Interferenz
Beeinflussung durch romanische Sprachen (insbesondere das Französische)
Rückgang von Einflüssen aus dem Lateinischen (das aber die beherrschende Schriftsprache bleibt)
6.4 Frühneuhochdeutsch
Der Ansatz einer frühneuhochdeutschen Periode ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht nicht unumstritten: Während Periodisierungsvorschläge in der Nachfolge Grimms auf das Mittelhochdeutsche um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert unmittelbar eine neuhochdeutsche Periode folgen lassen, setzen solche in der Nachfolge Scherers eine Übergangs- oder Zwischenperiode an, die von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts reicht und damit das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit zusammenfasst. Aus zeitgeschichtlicher Warte betrachtet, handelt es sich hierbei um einen ausgesprochen heterogenen Abschnitt, dessen spätmittelalterliche Phase geprägt istdurch die Einsetzung des Kaisers durch die Kurfürsten (Goldene Bulle, 1356), die Abhaltung von Reichstagen sowie das Entstehen von Landesherrschaft und Landständen (und damit verbunden einer weiteren Schwächung des Kaisers gegenüber den Fürsten); durch das Aufkommen freier Reichsstädte, die Gründung von Städtebünden (etwa der Hanse) sowie das Aufblühen des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens (Zunft- und Gildewesen, Gründung von Universitäten); und nicht zuletzt auch durch die abendländische Kirchenspaltung (Schisma) und eine zunehmende Rechtsunsicherheit im Reich, die mit dem Konzil von Konstanz (1417) und der Reichsreform Ende des 14. Jahrhunderts vorläufig überwunden werden. Die frühneuzeitliche Phase des Frühneuhochdeutschen beginnt mit dem Zeitalter von Humanismus und Renaissance sowie dem politischen Weltreich der Habsburger (Karl V., 1519–58) und der wirtschaftlichen Macht einzelner Bürger (so etwa der Fugger); und es ist die Zeit der durch Martin Luther (1483–1546) eingeleiteten Reformation, die unter anderem zu den Bauernkriegen (1524/25), zum Augsburger Religionsfrieden (1555) und zur Gegenreformation (etwa dem Trienter Konzil von 1545–63) führt. Das Ende der frühneuhochdeutschen Periode wird durch den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden (1648) markiert, in dem die politische und religiöse Zersplitterung Deutschlands bis auf Weiteres verankert werden.
Mit dem Zuwachs der Städte an wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Macht ändern sich auch die Bedingungen, die die Entwicklung der deutschen Sprache mitbestimmen. Nach dem Klerus und dem Adel erscheint nun erstmals das Bürgertum als Sprachentwicklungsträger : Denn es sind meist nicht Vertreter des weltlichen oder geistlichen Adels, sondern eben Bürgerliche, die zum Beispiel in der Verwaltung der Kanzleien arbeiten, als humanistische Gelehrte innerhalb und außerhalb der neu gegründeten Universitäten erscheinen oder die (katholische) Kirche zu reformieren versuchen; auch technische Errungenschaften wie insbesondere die Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks sind Ereignisse, die einem städtischen und damit bürgerlichen Umfeld entspringen. Diese Beobachtungendürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit nicht nur gesellschaftlich, sondern auch sprachlich eine Umbruchperiode darstellen. Die Ansätze zu einer überregionalen Literatursprache der Dichtung, wie sie noch in mittelhochdeutscher Zeit zu beobachten sind, gehen mit dem Untergang der höfischritterlichen Kultur ebenfalls verloren. Die Fachsprachen der Verwaltung und des Rechts sowie des Handwerks und verschiedener angewandter Wissenschaften bestehen nurmehr nebeneinander, ohne dass hier eine bemerkenswerte Vereinheitlichung zu verzeichnen wäre. Hinzu kommt, dass die politische und religiöse Zersplitterung des Reiches den Gebrauch von örtlichen Mundarten fördert sowie die Ausbildung und den Einsatz einer Gemeinsprache oder zumindest überregionaler Verkehrssprachen eher behindert, wenn auch nicht verhindert. Vor dem Hintergrund dieser wachsenden Vielfalt an sprachlichen Varietäten darf die frühneuhochdeutsche Periode gegenüber dem Mittelhochdeutschen sicher nicht ohne Weiteres als Fortschritt im Rahmen der Herausbildung einer deutschen Literatur- bzw. Standardsprache angesehen werden.
Das sprachliche System des Frühneuhochdeutschen ist den Verhältnissen im Bereich der Varietäten entsprechend durch einen Reichtum an einzelnen sprachlichen Varianten
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