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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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unser Selbstherrschertum, zwischen europäischem Absolutismus und asiatischer Despotie stehend, sich in vielen Zügen der letzteren näherte.
    Der Austausch der Erzeugnisse setzte bei der Unermeßlichkeit unseres Raumes und der Dünne der Bevölkerung (man sollte glauben, ein ebenfalls genügend objektives Merkmal der Rückständigkeit) die Vermittlerrolle des Handelskapitals in breitestem Ausmaße voraus. Dieses Ausmaß war eben dadurch möglich, daß der Westen auf einem viel höheren Entwicklungsniveau stand, seine komplizierten Bedürfnisse hatte, seine Kaufleute und seine Ware sandte und damit bei uns den Handelsumsatz auf unserer primitivsten und zum großen Teil barbarischen Wirtschaftsgrundlage vorwärtsstieß. Diese größte Eigenart unserer historischen Entwicklung außer acht lassen, heißt unsere ganze Geschichte übersehen.
    Mein sibirischer Arbeitgeber (ich hatte bei ihm zwei Monate lang die Pud und Arschin in das Handelsbuch einzutragen) Jakow Andrejewitsch Tschernych - es war nicht im 16. sondern zu Beginn des 20. Jahrhunderts - herrschte vermittels seiner Handelsoperationen fast uneingeschränkt in den Grenzen des Kerenskischen Kreises. Jakow Andrejewitsch kaufte bei den Tungusen Rauchware auf, bei den Popen der entlegenen Dorfbezirke das Deputatgetreide, brachte von den Jahrmärkten in Irbit und Nishnij-Nowgorod Kattun heim und war hauptsächlich Lieferant von Schnaps (im Gouvernement Irkutsk war zu jener Zeit das Branntweinmonopol noch nicht eingeführt). Jakow Andrejewitsch war Analphabet, jedoch Millionär (nach dem damaligen, nicht nach dem heutigen Gewicht der "Nullen"). Seine "Diktatur" als des Vertreters des Handelskapitals war unbestritten. Er pflegte sogar nicht anders als von "meinen Tungus'chen" zu sprechen. Die Städte Kirensk, Wercholensk, wie Nischne-Ilimsk waren Hauptstädte der Isprawniks und Pristaws, der Kulaken von gegenseitiger hierarchischer Abhängigkeit, allerhand kleiner Beamter und irgendwelcher armseliger Handwerker. Ich konnte dort kein organisiertes Handwerk, als die Basis eines städtischen Wirtschaftslebens entdecken, weder Zünfte, noch Zunftfestlichkeiten, noch Gilden, obwohl Jakow Andrejewitsch als "Kaufmann zweiter Gilde" zählte. Wahrlich, dieses lebendige Stück sibirischer Wirklichkeit führt uns viel tiefer in das Verständnis für die historischen Eigenarten der Entwicklung Rußlands ein als das, was Pokrowski darüber sagt. In der Tat. Jakow Andrejewitschs Handelsoperationen erstreckten sich vom Mittellauf der Lena und ihren östlichen Nebenflüssen bis nach Nishnij-Nowgorod und sogar Moskau. Nicht viele Handelsfirmen des kontinentalen Europa sind in der Lage, solche Entfernungen auf ihrer Handelskarte zu verzeichnen. Indes war dieser Handelsdiktator - in der Sprache der sibirischen Bauern der "Kreuzkönig" - das vollendetste und überzeugendste Symbol unserer wirtschaftlichen Rückständigkeit, Barbarei, Primitivität, Bevölkerungsdünne, Verstreutheit der Bauerndörfer und Gemeinden, der unpassierbaren Landwege, die während des Hochwassers im Frühling und Herbst für die Dauer von zwei Monaten um ganze Kreise, Bezirke und Dörfer eine Sumpfblockade errichten, wie auch des allgemeinen Analphabetismus, usw. usw. Tschernych vermochte auf der Grundlage der sibirischen (Mittel-Lena) Barbarei zu seiner Handelsbedeutung emporzusteigen, weil der Westen -"Rußland", "Moskau" - drückte und Sibirien ins Schlepptau nahm und so eine Mischung von wirtschaftlichnomadenhaftem Urzustand und Warschauer Weckeruhr hervorbrachte.
    Das Zunfthandwerk bildete das Fundament der mittelalterlichen Stadtkultur, die auch auf das Dorf ausstrahlte. Mittelalterliche Wissenschaft, Scholastik, religiöse Reformation erwuchsen auf dem Boden der Handwerkszunft. Bei uns gab es das nicht. Gewiß kann man Keime, Symptome, Anzeichen finden, im Westen aber waren es nicht Anzeichen, sondern gewaltige wirtschaftlich-kulturelle Formationen mit einem handwerkszünftigen Fundament. Darauf basierte die mittelalterliche europäische Stadt, darauf erwuchs sie, trat in Kampf gegen Kirche und Feudale und reichte der Monarchie die Hand gegen die Feudalen. Die gleiche Stadt schuf in Form von Feuerwaffen auch die technischen Voraussetzungen für die stehenden Heere.
    Wo gab es denn bei uns Städte mit Handwerkszünften, die auch nur im Entferntesten den Städten Westeuropas ähnelten? Wo ihren Kampf gegen die Feudalen? Oder hat der Kampf der gewerbe- und handeltreibenden Stadt gegen die Feudalen die Basis

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