Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
Vom Netzwerk:
wird).
    Der Grundgedanke der Schwankungsanalyse besteht darin, dass induzierte Mutationen erst auftreten können, wenn die Phagen den Bakterien zugesetzt werden, während spontane Mutationen immer möglich sind und in jeder Bakteriengeneration erscheinen können. Wer nun zahlreiche Bakterienkulturen heranzieht, die immer mit einer einzigen oder einigen wenigen Zellen beginnen, und dann ermittelt, wie viele resistente Stämme sich in ihnen befinden, wird keine identischen Resultate bekommen, sondern zwischen den Einzelergebnissen Schwankungen (Fluktuationen) finden, die bei allen Experimenten auftauchen. Nun kann man entweder aus vielen Kulturen je eine Probe oder aus einer Kultur viele Proben nehmen. Wenn die Mutation induziert ist, sollten die unvermeidlichen Schwankungen sich etwa die Waage halten. Wenn hingegen die Mutation spontan ist, sollten viel größere Fluktuationen für den Fall erwartet werden, dass aus vielen Kulturen eine Probe genommen worden ist. Genau dies wurde beobachtet. Die quantitative Durchführung der Experimente brachte noch den wunderbaren zusätzlichen Bonus, dass man lernte, wie die Häufigkeit der Mutation - die Mutationsrate - abgeschätzt werden konnte.
    Mit einem Schlag war Bakterien- beziehungsweise Phagengenetik nicht nur möglich, sondern zu einer Wissenschaft mit quantitativen Ergebnissen geworden. Mit der Fluktuationsanalyse rückten die Mikroorganismen in das Zentrum der Genetik, und die Fliegen und Pflanzen traten etwas in den Hintergrund. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg konnte dann die Existenz von Genen in Bakterien und Phagen endgültig durch die Beobachtung bewiesen werden, dass auch diese Lebensformen Rekombinationen aufweisen, und damit waren die Tore zum neuen Gebiet der Molekulargenetik aufgestoßen.
    Mit der Rekombination ließen sich genetische Karten von Phagen und Bakterien anfertigen -wie man es bei den Fliegen Jahrzehnte vorher begonnen hatte -, und hier wie schon zuvor entdeckte man dabei, dass Gene hintereinander angeordnet sind und eines nach dem anderen folgt. Es war offensichtlich, dass die Molekularbiologen bei der Suche nach der Natur der Gene auf dem richtigen Weg waren, und inzwischen war auch - wie oben beschrieben - wenigstens einer der Stoffe identifiziert worden, aus denen die Gene bestehen mussten, nämlich die DNA.

    Abb. 5: Die Fluktuationsanalyse. Die Mutationen sind schwarz gezeichnet.
     
    Die DNA als Nukleinsäure gehört zu der Klasse der Makromoleküle; es sind also Gebilde in der Zelle, die viel größer als etwa Wasser- und Alkoholmoleküle sind. Wasser besteht bekanntlich aus H2O-Molekü-len, und der Alkohol mit dem chemischen Namen Äthanol kann durch die Summenformel C2H5OH beschrieben werden. Wasser hat also drei und der Alkohol neun Atome, und ihre feste Verbindung ergibt ein Molekül. Makromoleküle setzen sich so aus Molekülen zusammen wie Moleküle aus Atomen. In der DNA findet man drei Sorten von ihnen, nämlich den bereits erwähnten Zucker (Desoxyribose), eine so genannte Phosphatgruppe (ein Phosphoratom mit vier Sauerstoffatomen) und eine Substanz, die Chemiker als organische Base bezeichnen. Da es insgesamt vier verschiedene Basen gibt (Abbildung 6), die in natürlicher DNA gefunden werden, müsste man vielleicht genauer sagen, dass diese Nukleinsäure aus sechs Molekü-len besteht, aber auf Details dieser Art kommt es erst später an. An diese Stelle gehört der Hinweis, dass die Idee von Makromolekülen keineswegs banal ist und Wissenschaftler erst einmal die Idee haben und den Nachweis führen mussten, dass es Gebilde dieser Art gibt. Diesen Fortschritt verdanken wir der Biochemie, die sich vom Ende des 19. Jahrhunderts an entwickelt hat und ohne deren Vorarbeiten Morgans Frage nach der Natur der Gene trotz aller physikalischen Hilfe nicht recht vom Fleck gekommen wäre.
    Die Biochemie untersucht -wie es der Name sagt - mit chemischen Methoden Fragestellungen der biologischen Wissenschaften. Historisch erkundete sie zunächst und vor allem das, was man den Stoffwechsel der Zellen - ihren Metabolismus - nennt. Sie war dabei bald auf eine besondere Klasse von Makromolekülen gestoßen, der sie zutraute, die erste Geige im Zellgeschehen zu spielen. Aus diesem Grunde gab man dieser molekularen Stoffklasse den Namen Proteine, und zu den großen Aufgaben eines Biochemikers der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte es, mehr über Struktur und Wirkungsweise von Proteinen herauszufinden. Was die Struktur angeht, so wurde in den

Weitere Kostenlose Bücher