Geschichte des Gens
ersten Jahrzehnten des 2O.Jahrhunderts nach und nach in mühevoller Kleinarbeit unter Einsatz aller möglichen Trennverfahren ermittelt, dass die kleinen Moleküle, aus denen das Protein als Makromolekül bestand, sämtlich der Klasse angehörten, die Chemiker als Aminosäuren kannten. Das Besondere dieser Bausteine besteht darin, dass sie alle miteinander zu langen Ketten verbunden werden können, und zwar immer über dieselbe Verbindung, die Chemiker als Peptidbindung bezeichnen.
Abb. 6: In der natürlichen DNA kommen vier Basen vor, die Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin heißen.
Ihrem Aufbau nach waren Proteine also Polypeptide, und die ersten Einblicke in die Funktionen dieser Makromoleküle zeigten, dass es sie in ähnlich großer Zahl wie die chemischen Reaktionen gab, die in einer Zelle ablaufen müssen, um deren Leben zu garantieren. Proteine konnten und können viele Aufgaben erledigen. Sie treten als Hormone auf, sie wirken als Enzyme, was heißt, sie katalysieren chemische Reaktionen und Umwandlungsprozesse, die ohne ihre Anwesenheit nicht oder nur langsam abgelaufen wären, sie helfen als so genannte Antikörper bei der Immunabwehr, sie geben den Zellen ihre Form, sie empfangen das Licht in den Zellen der Netzhaut im Auge und leiten die Information dar-über weiter in das Gehirn, indem sie die Erregung von Nervenzellen vermitteln, und sie tun vieles mehr. Bei jeder zellulären Aufgabe finden sich Proteine, die sie übernehmen und erledigen; und weil sich diese Einsicht schon vor dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte, schien allen klar zu sein, dass die Proteine auch den Job übernehmen konnten, der von Genen erfüllt werden musste, um die Merkmale eines Organismus hervorbringen und an die nächste Generation weitergeben zu können.
Aus diesem Grunde reagierten viele Biochemiker höchst überrascht und skeptisch, als Avery und sein Team berichteten, dass es die Molekülsorte DNA war, die sie als transformierende Erbsubstanz in Bakterien nachweisen konnten. Diese Rolle hätte man allein deshalb eher den Proteinen zugemutet, da zwanzig Aminosäuren bekannt waren, aus denen die Proteine bestanden. Das waren mehr Einzelteile, als man bei der DNA gefunden hatte. Proteine konnten also wesentlich vielfältiger gebaut sein, und das Mindeste, das man von Genen erwartete, war eine Bauweise, die der Komplexität der Organismen angemessen war.
Trotzdem: Averys Ergebnis musste ernst genommen werden; die DNA gehört zur Erbsubstanz, aber was noch? Konnte es nicht sein, dass einige Proteine übersehen wurden? Um die Frage zu klären, wendeten einige Genetiker ihre Aufmerksamkeit erneut den Mikroorganismen zu, die auch chemisch einfacher zusammengesetzt sein sollten als die Zellen, die zu pflanzlichen oder tierischen Organismen gehören und sicher noch voller Fette (Lipide), Zucker, Mineralien, Kohlenwasserstoffe und anderer organischer Substanzen steckten. Und mit dem Phagen hatte man Glück. Die biochemische Analyse zeigte um 1950, dass ein Phage oder bakterielles Virus aus genau zwei Komponenten besteht, nämlich aus den beiden Konkurrenten um den Status als genetisches Material: DNA und Protein. Im Verlauf der 1940er Jahre war zudem - unter anderem mit Hilfe der damals aufkommenden Elektronenmikroskopieklar geworden, dass ein Phage aus einer Hülle und einem darin verpackten Stoff besteht. Die Bilder zeigten deutlich, dass die Hülle außen auf den infizierten Bakterien sitzen blieb (Abbildung 7). Nur was in ihr verpackt war, gelangte in das Bakterium, aus dem aber zuletzt wieder ganze Phagen austraten. Konnte man bei diesem Prozess identifizieren, wo sich die bekannten biochemischen Substanzen befanden?
Abb.7: Der Lebenszyklus eines typischen Phagen
Beantwortet wurde diese Frage 1952 von Hershey und Chase. Sie konnten zeigen, dass ein Phage, der aus DNA und Proteinen bestand, nur seine DNA in die Bakterien einschleuste, während die Proteinhülle außen blieb. Die DNA sorgte in den Bakterien dann dafür - auf zunächst unbekannte und unerkannte Weise -, dass erneut Hüllprotein angefertigt wurde und somit ganze Phagen entstehen konnten, die zuletzt das befallene Bakterium sprengten und ausschwärmten (Abbildung 7). Im Lebenszyklus des Phagen gab es also ein Stadium, in dem er ausschließlich aus DNA bestand. Mit erneut anderen Worten: Die DNA war nicht nur eine Komponente der Erbsubstanz (was Averys Gruppe gezeigt hatte), die Erbsubstanz des Phagen bestand ausschließlich aus DNA. Diese Nukleinsäure
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