Geschichte des Gens
als Struktur der DNA -, müssen wir erläutern, wie es dazu gekommen ist, dass in den fünfziger Jahren unter Genetikern immer weniger von Fliegen und Pflanzen, und immer mehr von Bakterien und Viren die Rede war. Es waren nämlich diese kleinen Lebensformen, mit denen die großen Fortschritte der Genetik in Gang kamen, die uns heute beschäftigen.
Große Fortschritte mit kleinen Lebensformen
Als in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts T. H. Morgan von Kalifornien aus die Vertreter der Physik und Chemie einlud, den Genetikern zu helfen, die Frage nach der Natur der Gene zu beantworten, und als zur gleichen Zeit Delbrück in Berlin von den Genen als Atomverbänden sprach - da überlegten sich an der amerikanischen Ostküste einige Wissenschaftsfunktionäre der Rockefeller Stiftung unter Leitung von Warren Weaver, ob es nicht möglich sei, aus der bisher eher deskriptiven und wenig theoretischen Biologie eine mathematisch fundiertere und somit exaktere Wissenschaft zu machen. Sie träumten von einer präzisen und wirksamen »Science of Man«; und es ist oft spekuliert worden, dass im Hintergrund solcher Überlegungen die Hoffnung stand, gesellschaftliche Probleme - wie etwa Alkoholismus oder hohe Scheidungsraten -technisch (biologisch) zu lösen. Eine wichtige Entscheidung bestand darin, die (in Amerika betriebene) Wissenschaft der Genetik dadurch voranzubringen, dass man theoretisch ausgebildete und mathematisch versierte Forscher einlud, in die USA zu kommen, wobei die Bereitschaft der europäischen Forschender, Ruf von Rockefeller zu folgen, weniger durch das amerikanische Geld als vielmehr durch die Angst vor dem Krieg erhöht wurde, der in den späten dreißiger Jahren immer wahrscheinlicher wurde. Mit der Kriegsbereitschaft der Nazis argumentierten auch die Beauftragten der Rockefeller Stiftung, die eines Tages bei Delbrück in Berlin anklopften, der sich auf ihr Werben einließ und bald die Reise nach Kalifornien antrat, um an Morgans Institut seine biophysikalischen Arbeiten fortzusetzen und dort die Natur des Gens zu erkunden.
Das Programm, unter dem die Rockefeller Stiftung solche interdisziplinären Kooperationen finanzierte, lief zwar zuerst noch unter dem Titel »Mathematische Biologie«, bekam aber im Jahre 1938 den maß-geblichen, heute weitverbreiteten und wie selbstverständlich gebrauchten Namen der »Molekularbiologie«. Als dieser Ausdruck zum ersten Mal vorgeschlagen wurde, hatte Delbrück gerade sein Interesse an Drosophila verloren und begonnen, die oben erwähnten Bakteriophagen zu untersuchen, und zwar unmittelbar unter den Augen des skeptisch bleibenden Morgan und seines Teams. Der Wechsel von der Fliege zu den Phagen brachte erneut Delbrücks Hintergrund der Physik zum Vorschein, und er folgte dabei wieder einem Ratschlag von Bohr. Bohr hat in vielen Gesprächen immer wieder daran erinnert, dass die ersten Erfolge der neuen Physik im 20. Jahrhundert nach der Entdeckung der Quantensprünge nur möglich geworden sind, weil man ein einfaches Gebilde wie das Wasserstoffatom zur Verfügung hatte, das nur aus einem Proton und einem Elektron besteht. Man konnte versuchen, die richtigen Gesetze für diesen Fall zu raten, um sie anschließend auf kompliziertere Atome (Helium, Lithium) anzuwenden und zu prüfen, ob sie hier noch funktionieren.
Delbrück hielt also seine Augen offen, ob es irgendwo ein Wasserstoffatom der Genetik gab, also eine Lebensform, die nichts tat, außer vielleicht da zu sein und sich zu vermehren, und 1938 wurde er mit den Phagen fündig. Die Existenz solcher Lebensmöglichkeiten, von denen man zunächst nur wusste, dass sie kleiner als Bakterien waren, war seit etwa 1915 bekannt, und es gab auch Verfahren, um ihr Wirken zu beobachten. Die Biologen ließen zu diesem Zweck Bakterien auf einem Nährboden wachsen, um sie anschließend mit einer phagenhaltigen Lösung zu begießen. Über Nacht bildeten sich Löcher in dem Bakterienrasen, die man Plaques nannte und quantitativ auswerten konnte (Abbildung 4).
So einfach diese Versuche waren und so klare Ergebnisse sie in quantitativer Hinsicht zeitigten, etwa indem sie zu bestimmen erlaubten, wie viele Phagen in ein einzelnes Bakterium eindringen und aus ihm hervortreten können - noch war das alles sehr weit weg von den Genen, die Mendel entdeckt und Morgan lokalisiert hatte. Die beiden Genetiker hatten schließlich mit Organismen gearbeitet, die sich geschlechtlich vermehrten und also kreuzen ließen. Ein Gen war etwas,
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